Ambulantisierung geht weiter mit Schrittmachern und Co
AOP-Katalog-- In Zukunft müssen mehr Leistungen ambulant erbracht werden. Der Katalog ambulant durchführbarer Operationen (AOP) wurde zum 1.1.2023 erweitert. Er enthält etwa 200 zusätzliche Eingriffe, darunter auch kardiologische. Diese Entwicklung ist prinzipiell zu begrüßen, birgt jedoch Konfliktpotenzial.
Veröffentlicht:
Um Eingriffe ambulant durchführen zu können, bedarf es struktureller und personeller Voraussetzungen.
© Life In View / Science Photo Library ((Symbolbild mit Fotomodellen)
In Deutschland liegt die Zahl stationärer Behandlungen im Vergleich zu Ländern in Westeuropa oder den USA höher. Argumente für eine Verlagerung bisher stationär erbrachter Leistungen in den ambulanten Bereich ist der medizinisch-technische Fortschritt, der zu einer Vereinfachung vieler Eingriffe geführt hat. Weiter werden der zunehmende Kostendruck im Gesundheitswesen, eine verbesserte Orientierung an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten und auch der Fachkräftemangel (vor allem im Pflegebereich) angeführt.
Schätzungen gehen davon aus, dass circa 20 % der stationären Behandlungsfälle sogenannte „ambulant-sensitive“ Fälle seien. Nach Angaben des Krankenhaus-Rating-Reports 2019 liegt das ambulante Potenzial bisher stationärer Fälle bei ca. 9 %, letzterer Wert erscheint aber nach aktuellen Erkenntnissen zu niedrig. Das ambulante Potenzial ist besonders hoch in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, der Augenheilkunde und der Gastroenterologie, besteht aber auch in der Kardiologie. Strukturen für eine Ambulantisierung kardiologischer Leistungen sind jedoch bisher nicht ausreichend etabliert.
Neu im AOP-Katalog
Mit dem MDK-Reformgesetz wurde den Partnern der Selbstverwaltung der gesetzliche Auftrag erteilt, nach §115b SGB V Abs. 1A (vgl. https://dejure.org/gesetze/SGB_V/115.html) ein Gutachten zur Erweiterung des Katalogs ambulant durchführbarer Operationen (AOP-Katalog) im Krankenhaus zu bestellen. Das beauftragte IGES-Institut stellte das Gutachten am 31.3.2022 vor. Es diente der Selbstverwaltung als Grundlage, den bisherigen AOP-Katalog zu überarbeiten und um insgesamt ca. 200 Eingriffe zu erweitern. In der Kardiologie betrifft dies verschiedene Herzschrittmacher-Eingriffe und im interventionellen Bereich die intrakoronare Druck- bzw. IVUS-Messung. Diese Erweiterung des AOP-Katalogs ist bereits zum 1.1.2023 in Kraft getreten. Die Finanzierung der Leistungen erfolgt nach EBM. Dies ist aber nur ein erster Schritt. Aktuell werden die Partner der Selbstverwaltung über weitere Leistungen verhandeln, die aufgrund ihrer Komplexität vermutlich überwiegend am Krankenhaus erbracht werden.
Tagesstationäre Leistungenund Hybrid-DRG
Zwischenzeitlich hat der Gesetzgeber zusätzliche Möglichkeiten geschaffen: Dies sind die ebenfalls bereits seit dem 1.1.2023 geltenden, „tagesstationären“ Leistungen (§ 115e), die nach DRG mit einem Abschlag von 0,04 Bewertungsrelationen abgerechnet werden, wenn der Patient mindestens 6 Stunden im Krankenhaus behandelt wird. Daneben wurde zuletzt noch eine Hybrid-DRG in den Gesetzentwurf eingeführt (§ 115f), nach der ebenfalls bisher stationär erbrachte Leistungen ambulant vergütet werden können. Hier hat der Gesetzgeber eine Frist bis zum 31.3.2023 gesetzt, die kaum einzuhalten ist.
Danach will das BMG selbst im Sinne einer Ersatzvornahme tätig werden und vor allem Leistungen mit hohem Leistungsvolumen einbringen. Auch die Finanzierung soll dann vom BMG letztverantwortlich festgelegt werden. Man kann in der Folge von einer erheblichen Erweiterung der Ambulantisierung ausgehen.
Noch viele Unklarheiten
Die Einführung tagesstationärer Behandlungen ist im Prinzip zu begrüßen. Allerdings gibt es noch viele Unklarheiten. Bei den bisherigen Leistungen im AOP-Katalog wurden die G-AEP-Kriterien (german appropriate evaluation protocol) als Begründung herangezogen, um die Leistung doch stationär erbringen zu dürfen. Diese wurden durch den MD oft nicht akzeptiert und sind zum Teil. juristisch umstritten. Sie sollen nun durch sogenannte „Kontext-Faktoren“ ersetzt werden – auf die man sich für die erste Stufe in einer vorläufigen Version geeignet hat. Es bleibt abzuwarten, ob es wirklich gelingt, diese Kriterien so rechtssicher festzulegen, dass es nicht zu noch mehr Streitfällen zwischen den Krankenhäusern und Kostenträgern kommt.
Beim § 115e könnten sie zum Problem werden, beim § 115f spielen sie allerdings keine Rolle, da die Bezahlung für stationäre und ambulante Behandlung gleich ist. Die Abgrenzung von „tagesstationären“ Leistungen zu den Hybrid-DRG ist kompliziert, da zahlreiche Leistungen, die in den AOP-Katalog (§ 115b) aufgenommen sind oder werden, ausgenommen sind.
Minimale Einbindung der Fachgesellschaften
Doch die Politik macht Druck: Die Ambulantisierung bisher stationärer Leistungen soll im kommenden Jahr auf den Weg gebracht werden. Die Fachgesellschaften sind in den bisherigen Prozess nur minimal eingebunden worden. Daher bereitet die DGK aktuell eine Stellungnahme vor, die vor allem Empfehlungen für die strukturellen Voraussetzungen gibt, unter denen bisher stationär durchgeführte Eingriffe in Zukunft auch ambulant erbracht werden können. Daneben werden auch bestimmte Eingriffe genannt, bei denen eine ambulante Durchführung in Zukunft aus medizinisch-fachlicher Sicht machbar erscheint. Diese Liste wird in den nächsten Wochen publiziert.
Kardiologische Ambulantisierung braucht 24/7-Notfall-Bereitschaft
Weitgehend unbeachtet blieb in den Verhandlungen zwischen GKV-SV, DKG und KBV die Frage, welche personellen und strukturellen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um Leistungen ambulant erbringen zu können. Denn gerade für kardiologische Leistungen gilt, dass es auch bei „einfachen“ Eingriffen schnell zu lebensbedrohlichen Verläufen kommen kann, die eine sofortige Intervention erforderlich machen. Dies erfordert regelhaft die Vorhaltung einer 24/7-Notfall-Bereitschaft. Auch dazu wird die DGK Empfehlungen für die wesentlichen, interventionellen und operativen Eingriffe in der Kardiologie (Koronardiagnostik und -intervention, Interventionen bei strukturellen Herzerkrankungen, invasive Elektrophysiologie sowie Device-Implantationen) aussprechen.
Entscheidung sollte gemeinsam von Arzt und Patient getroffen werden
Diese Empfehlungen dienen der Patientensicherheit, die Vorrang vor wirtschaftlichen Überlegungen der Leistungserbringung haben sollte. Dazu gehört auch, dass die Entscheidung über die ambulante Durchführung eines Eingriffs im Sinne eines „shared decision makings“ gemeinsam von Arzt und Patient getroffen werden sollte. Auch ist die im internationalen Vergleich unübliche Post-hoc-Überprüfung der ärztlichen Entscheidung durch eine externe Instanz, den Medizinischen Dienst, der im Wesentlichen die Interessen der Kostenträger vertritt, aus fachlicher Sicht prinzipiell abzulehnen. Eine derartige Überprüfung wird obsolet, wenn die rein medizinische Leistung ambulant wie stationär gleich – und hoffentlich auskömmlich– vergütet wird. Auch benötigen die Krankenhäuser eine zusätzliche adäquate Vergütung für den Aufwand der Vorhaltung einer Notfallversorgung.
Insgesamt ist klar, dass mehr kardiologische Leistungen ambulant erbracht werden können und auch müssen. Das ist prinzipiell zu begrüßen. Es sind jedoch Zweifel angebracht, ob das so funktionieren wird, wie es aus ärztlicher Sicht notwendig ist.
Fazit
Die zunehmende Ambulantisierung ist in Anbetracht der rasanten, technischen Verbesserungen kardiologischer Interventionen zu begrüßen, wenn sie nicht aus dem vorherrschenden Grund einer erhofften Kostenersparnis überstürzt erfolgt.
Bisher sind weder Strukturen noch personelle Voraussetzungen für eine Ambulantisierung kardiologischer Leistungen ausreichend etabliert.
Aspekte wie Patientensicherheit und Patientenwunsch sind zu berücksichtigen, notwendige Strukturen an den Krankenhäusern und Praxen sind zu schaffen. Es sind Zweifel angebracht, ob das so funktionieren wird, wie es aus ärztlicher Sicht notwendig ist.
Kontakt-- Prof. Dr. Christoph Stellbrink, Klinik für Kardiologie und internistische Intensivmedizin am Klinikum Bielefeld Mitte,