Editorial

Mehr Role Models für den Nachwuchs

Herausforderungen unserer Zeit-- Kardiologinnen und Kardiologen leiden nicht selten an Überlastungen. Der Nachwuchs entscheidet sich immer seltener dafür, einen Weg als „clinician scientists“ einzuschlagen. Es sind Herausforderungen dieser Zeit, die wir angehen sollten. Zum Beispiel, indem wir richtige Role Models schaffen.

Ein Kommentar von Prof. Tienush Rassaf und Prof. Meinrad Gawaz Veröffentlicht:
a concept on the topic of depression, personality disorders. Big problems. Generative ai

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© artem/stock.adobe.com

Prof. Dr. med. Meinrad Gawaz-- Universitätsklinikum Tübingen

Prof. Dr. med. Meinrad Gawaz-- Universitätsklinikum Tübingen

© Gawaz

Prof. Dr. med. Tienush Rassaf-- Universitätsklinikum Essen

Prof. Dr. med. Tienush Rassaf-- Universitätsklinikum Essen

© Rassaf

Denke ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“. Als der Dichter Heinrich Heine im Jahre 1844 diese Zeilen verfasste, hatte er die damaligen sozialen und politischen Verhältnisse und die geistige Enge in Deutschland im Blick. Schlaflosigkeit ist ein zunehmendes Problem in der Bevölkerung, welches in engem Zusammenhang zu psychischen Erkrankungen oder vorübergehender Überforderung steht.

Erschreckend ist eine weltweite Umfrage, in der fast die Hälfte der Kardiologinnen und Kardiologen über psychische Probleme berichtet. Die erhöhten Raten an Depressionen, Burn-out, Zukunftsangst und Suizidgedanken bei Kardiologen sind erschreckend. Bei Frauen und jüngeren Kollegen war die Belastung am höchsten. Sicher sind diese Ergebnisse nicht spezifisch für die Herzmedizin, sondern wesentlich dem Zeitgeist unserer Gesellschaft geschuldet. Wer kann das nicht nachvollziehen bei all den Krisen und schrecklichen Nachrichten. Dennoch ist die Überlastung ein Alarmsignal speziell für eine Berufsgruppe mit höchster Verantwortung. Eine Einschätzung aus psychosomatischer Sicht erhalten Sie in einem interessanten Interview in dieser Cardio-News-Ausgabe.

Es klingt banal, dass das Ruhe-EKG die Basis jeder kardiologischen Untersuchung darstellt. Ein Elektrophysiologe betont in seinem Artikel die Bedeutung des EKGs, besonders in der heute sehr technisch zentrierten Medizin. Das EKG ist nicht nur für den spezialisierten Rhythmologen, sondern für alle Kardiologen von entscheidender Bedeutung. Anhand des EKG können klinische Entscheidungen schnell und kostengünstig getroffen werden. Leider erscheint das EKG zunehmend in den Hintergrund zu treten zugunsten von Troponinbestimmungen und bildgebenden Verfahren. Diese Entwicklung wird der Sache nicht gerecht.

Neue Technologien ermöglichen es, ein kontinuierliches und fortlaufendes Rhythmusmonitoring durchzuführen. Neben den sich daraus ergebenden Chancen werden zunehmend Fragen aufkommen: Was tun bei auffälligen meist asymptomatischen Befunden? Eine Post-hoc-Analyse der LOOP-Studie belegt, dass bei ca. 20 % der beteiligten Vorhofflimmern-Patienten eine asymptomatische Bradyarrhythmie vorliegt. Diese Diagnose führte zu vermehrten Schrittmacherimplantationen, ohne die Prognose bzgl. Mortalität und Synkopen eindeutig zu reduzieren. Stellen asymptomatische Bradykardien eher einen Risikofaktor allgemeiner Natur dar, welcher zur sorgfältigen Abklärung von strukturellen Herzerkrankungen führen sollte? Eine interessante Hypothese, die durch diese Studienergebnisse untermauert wird.

Notaufnahmen entlasten

Immer häufiger werden durch die großzügige perioperative Troponindiagnostik perioperative Herzinfarkte ohne Nachweis bedeutsamer epikardialer Koronarläsionen diagnostiziert. In einer prospektiven Multicenterstudie (BASAL-PMI) zeigt sich, dass auch bei der Diagnose eines Typ-2-Infarktes die Mortalität im weiteren Verlauf bedenklich erhöht war. Was das für die weitere Sekundärprävention bedeutet, ist unklar. Die Studie belegt aber, dass ein erhöhtes Troponin unabhängig von der Grunderkrankung prognostisch immer ungünstig ist.

Die Überlastung von Notaufnahmen ist ein zunehmendes Problem. Viele Patienten mit unklaren Thoraxschmerzen werden mit NSTEMI-Verdacht vorstellig. Könnte nicht schon beim Erstversorger ein Troponin-Test die Einweisung in die Notaufnahme vermeiden? Wie die ARTICA-Studie zeigt, könnte eine prähospitale Rule-out-Strategie zu einer deutlichen Entlastung vieler Notaufnahmen und zur Kostenersparnis führen, ohne kurzfristig gesundheitliche Nachteile für die Betroffenen zu haben.

Neue Optionen für Klappeneingriffe

Die TAVI ist bei kritischer Aortenstenose eine etablierte Standardtherapie an vielen Zentren geworden. Auch wenn die transarterielle Implantation von Herzklappen bereits ähnlich routiniert abläuft wie eine PCI, ist die erforderliche Vorbereitung und Nachsorge des Patienten weitaus aufwendiger. Bisher gab es jedoch nur beschränkte Möglichkeiten für die interventionelle Therapie bei schwerwiegenden Aortenklappeninsuffizienzen. Aber auch hier werden zunehmend Möglichkeiten erarbeitet, wie die Entwicklung der Trilogy-Prothese aus Jena aufzeigt. Ähnlich wie bei der Aortenstenose werden sich auch im Bereich der Aortenklappeninsuffizienz durch die Entwicklungen geeigneter Prothesen interventionelle Optionen ergeben.

In den letzten Jahren wurden viele neue onkologische Therapien entwickelt. Schnell wurde jedoch ersichtlich, dass vor allem Checkpoint-Inhibitoren in Einzelfällen erhebliche kardiovaskuläre Nebenwirkung nach sich ziehen. Wenn Nebenwirkungen auftreten, besteht immer wieder Unsicherheit, inwieweit eine onkologische wirksame Therapie unterbrochen oder abgesetzt werden muss. Dies sind sehr schwierige Einzelfallentscheidungen, die zunehmend im Rahmen einer interdisziplinären kardioonkologischen Versorgung getroffen werden müssen. Hilfreich sind hier von der ESC entwickelte, digitale Programme und Apps, die das individuelle Risiko onkologischer Patienten für kardiovaskuläre Komplikationen besser objektivieren und veranschaulichen. Diese digitale Unterstützung sollte unbedingt bei allen Betroffenen benutzt und im Klinikalltag eingesetzt werden.

Implantieren wir zu viele ICDs nach stattgehabtem Herzinfarkt unter Berücksichtigung aktueller Pharmakotherapien? Eine berechtigte Frage, die in einem laufenden EU-Projekt beantwortet werden soll. Die Ejektionsfraktion als alleiniges Entscheidungskriterium ist sicher zu hinterfragen. Hier sollte, wie in dem EU-Projekt vorgesehen, ein multiparametrischer Ansatz entwickelt werden, um das Risiko von bedrohlichen Kammerarrhythmien und dem plötzlichen Herztod besser einschätzen zu können. Es ist denkbar, mit der Hinzunahme von weiteren Parametern inkl. Biomarkern die Vorhersage von malignen Rhythmusstörungen zu verbessern. Die Idee ist nicht ganz neu, aber die klinischen Daten fehlen. Eine verbesserte Definition des Risikokollektivs könnte ein Zuviel an ICD-Implantation vermeiden. Wenn künftig das Risiko für einen plötzlichen Herztod besser definiert werden kann, bleibt die Einzelfallentscheidung jedoch schwierig.

Nachwuchsprobleme

In den letzten Jahren wurden die Therapieoptionen besonders bei Herzinfarkt und Herzinsuffizienz ständig verbessert und haben ein sehr hohes Niveau erreicht. Die besten Erfolgsaussichten ergeben sich aus Früherkennung und Prävention. Hier besteht allgemein großer Nachholbedarf. Eine neue nationale Initiative zur Bekämpfung von Herzerkrankungen ist wichtig. Neben einer zielgerichteten Versorgungsforschung sind ein strukturierter Aufbau von interdisziplinären Netzwerken und eine Digitalisierung individueller Patientendaten notwendig. Ebenso ist es erforderlich, Assistenzkräfte im Bereich Prävention auszubilden. Der Vorteil von spezialisierten Assistenzkräften hat sich bereits im Bereich der Herzinsuffizienz („heart-failure-nurse“) bewährt. Eine wirksame Prävention hat zweifellos die Chance, die Entwicklung der koronaren Herzerkrankung und Herzinsuffizienz zu verzögern. Schwierig bleibt, die Betroffenen zu überzeugen, dass in einer frühen Phase der Krankheitsentwicklung ohne besonderen Leidensdruck gegengesteuert werden sollte. Stichpunkt Patientencompliance.

Werden wir künftig noch genügend Kolleginnen und Kollegen mit „langem Atem“ für die Herz-Kreislauf-Forschung gewinnen? Hier hat sich sicherlich eine Zeitenwende eingestellt. Warum soll ich? Was bringt mir das? Das hindert mich nur an meiner klinischen Ausbildung. Trotz verbesserter Ausbildungswege in Klinik und Forschung finden sich immer weniger Interessierte, die den Weg der Forschung gehen möchten. „Per aspera, ad astra“ ist für viele Kolleginnen und Kollegen ein Gegensatz zu WorkLife-Balance ... obwohl dies nicht richtig ist. Hingabe, Leidenschaft, Einsatz für den Beruf sollte man nicht nur in der Medizin mitbringen. Und hiervon sollte und muss man klar unorganisierte Arbeitsabläufe, Missmanagement in der Arbeitszeitgestaltung durch Arbeitgeber, Fehlplanungen, schlechte Ausbildung usw. trennen. Die Etablierung von „clinician scientist“-Programmen hat die Situation nicht wirklich merklich verbessert. Immer mehr Nachwuchskräfte scheuen sich, ein solches Programm aufzunehmen, nicht zuletzt aus Angst vor Benachteiligung in der klinischen Ausbildung. Arbeitsgruppentagungen der DGK, wie sie z. B. mit der Atherothrombose Winterschool jährlich stattfinden, sind ein sehr wichtiges Instrument, um mit den Nachwuchskräften darüber zu diskutieren.

Aber vielleicht fehlen uns in der Herzmedizin einfach auch nur die richtigen Role Models, zu denen aufgeschaut, denen nachgeeifert werden kann. Zugegeben: Die forschenden Ärztinnen und Ärzte in den US-Serien erscheinen meist jünger, attraktiver, sportlicher und cooler ... Ok, Challenge accepted ...

Herzliche Grüße

Tienush Rassaf und Meinrad Gawaz

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