Knifflige Klappenbefunde – wie und wann eingreifen?

Aortenklappenstenose-- Aktuell besteht Unsicherheit, ob und falls ja, wie bei einer hochgradigen asymptomatischen Aortenstenose oder bei mittelgradigen low-flow / low-gradient-Aortenklappenstenosen interveniert werden sollte. In einem Fall ist die Datenlage nun klar, im anderen Fall gibt es keine allgemeingültigen Empfehlungen.

Von PD Dr. Luise Gaede und Prof. Jan-Malte Sinning Veröffentlicht:
Der Zeitpunkt für eine notwendige Intervention bei low-flow/low-gradient-AS ist unklar.

Der Zeitpunkt für eine notwendige Intervention bei low-flow/low-gradient-AS ist unklar.

© gesrey / Getty Images / iStock

Empfehlungen für asymptomatische hochgradige Aortenklappenstenose

Die Europäischen Leitlinien zur Behandlung von Herzklappenerkrankungen von 2021 geben bisher folgende Empfehlungen zur Behandlung von Patienten mit asymptomatischer und hochgradiger Aortenklappenstenose (AS) [1, 2]:

Ein Eingriff wird bei asymptomatischen Patienten mit hochgradiger AS und systolischer LV-Dysfunktion (LVEF < 50 %) ohne andere Ursache empfohlen (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad A).

Ein Eingriff wird bei asymptomatischen Patienten mit hochgradiger AS und nachweisbaren Symptomen im Belastungstest empfohlen (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad C).

Bei asymptomatischen Patienten mit hochgradiger AS und systolischer LV-Dysfunktion (LVEF < 55 %) ohne andere Ursache sollte ein Eingriff erwogen werden (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad B).

Bei asymptomatischen Patienten mit hochgradiger AS und einem anhaltenden Blutdruckabfall (> 20 mmHg) im Belastungstest sollte ein Eingriff erwogen werden (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C).

Bei asymptomatischen Patienten mit einer LVEF > 55 % und einem normalen Belastungstest sollte ein Eingriff erwogen werden, wenn das Verfahrensrisiko gering ist und einer der folgenden Parameter vorliegt (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C):

– Sehr hochgradige AS (mittlerer Gradient ≥ 60 mmHg oder Vmax > 5 m/s),

– hochgradige Klappenkalzifizierung (idealerweise durch koronare CT beurteilt) und Vmax-Progression ≥ 0,3 m/s/Jahr,

– deutlich erhöhte BNP-Werte (> 3 × alters- und geschlechtskorrigierter Normalbereich), die durch wiederholte Messungen bestätigt wurden und für die es keine andere Erklärung gibt.

PD Dr. Luise Gaede, Universitätsklinikum Erlangen

PD Dr. Luise Gaede, Universitätsklinikum Erlangen

© Gaede

Prof. Dr. Jan-Malte Sinning, St. Vinzenz-Hospital Köln

Prof. Dr. Jan-Malte Sinning, St. Vinzenz-Hospital Köln

© Sinning

Zusammenfassend bedeutet das, dass asymptomatische Patienten mit hochgradiger AS von einem Eingriff profitieren, sofern sie eine eingeschränkte LV-Funktion, Beschwerden bei Belastung oder sonstige Surrogatmarker für eine schwere AS wie schwere Verkalkung, deutlich erhöhte natriuretische Peptide oder schnelle Progredienz aufweisen.

Die RECOVERY-Studie zeigte, dass eine frühe chirurgische Therapie bei Patienten mit asymptomatischer AS die Mortalität im Verlauf wie auch bei dem Eingriff selbst reduziert [3]. Die AVATAR-Studie bestätigte diesen günstigen Einfluss einer möglichst frühen Operation asymptomatischer Patienten mit AS [4].

Auch wenn die Daten für asymptomatische Patienten insbesondere auf diesen zwei Studien mit operativ therapierten Patienten basieren, lassen die Europäischen Leitlinien die Wahl des Verfahrens (OP oder TAVI) bei diesen Patienten offen. Ob TAVI bei asymptomatischen AS-Patienten wirklich ebenfalls einen Benefit zeigt, ist Gegenstand aktueller Studien, z. B. EARLY TAVR oder EVOLVED.

Mittelgradige low-flow/low-gradientAortenklappenstenose

Der chirurgische Aortenklappenersatz bei einer mittelgradigen Aortenklappenstenose (definiert als eine KÖF von 1,0–1,5 cm2 oder mittlerer Klappengradient von 25–40 mmHg unter normalen Flussbedingungen) sollte in Rücksprache mit dem Herzteam lediglich bei Patienten erwogen werden, die sich primär einer aortokoronaren Bypass-Operation, einer Operation an der Aorta ascendens oder einer anderen Klappe unterziehen. (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C) [1, 2]. Wie der Evidenzgrad bereits vermuten lässt, gibt es für diese Empfehlung aktuell keine Studiengrundlage.

Insbesondere Patienten mit mittelgradiger low-flow / low-gradient-AS stellen eine Herausforderung in der Diagnostik und der Therapieentscheidung dar. Die Leitlinien empfehlen in einem solchen Szenario neben der Messung des Flussstatus auch eine Planimetrie der Klappe sowie ggf. die Durchführung einer Stressechokardiografie.

Hinsichtlich der Therapie zeigten sich in etlichen Beobachtungsstudien, dass diese Patienten eine genauso schlechte Prognose haben wie Patienten mit einer hochgradigen AS, wenn sie aggravierende Begleitparameter wie eingeschränkte LV-Funktion, erhöhte natriuretische Peptide, schwere Verkalkung und/oder Vorhofflimmern aufweisen [1, 2]. Analog zu Patienten mit hochgradiger AS konnten Généreux et al. auch bei Patienten mit mittelgradiger low-flow / low-gradient-AS anhand fortschreitender Schädigung des linken und später auch rechten Herzens eine stufenweise ansteigende Mortalität nachweisen [5, 6]. Daher liegt die Hypothese nahe, dass eine frühzeitigere Therapie eine Progression der Erkrankung verhindert und damit die Prognose verbessern könnte. Bislang ist das aber noch Zukunftsmusik und sollte nur im Rahmen der hierzu laufenden klinischen Studien empfohlen werden. Die Therapie mittels TAVI bei diesen Patienten wird derzeit in den Studien PROGRESS, TAVR UNLOAD und Expand TAVR II untersucht.

Fazit

Während asymptomatische Patientinnen und Patienten mit hochgradiger AS von einer frühen Behandlung profitieren (Daten der Studien für TAVI stehen noch aus), kann für Patienten mit mittelgradiger low-flow / low-gradient-AS noch keine generelle Empfehlung gegeben werden.

Eine Behandlung sollte im Falle einer mittelgradigen low-flow / low-gradient-Aortenklappenstenose nur im Einzelfall im Rahmen randomisierter kontrollierter Studien erfolgen.

Literatur bei der Verfasserin/dem Verfasser

Kontakt-- Prof. Dr. Jan-Malte Sinning, Innere Medizin III – Kardiologie & Rhythmologie, St. Vinzenz-Hospital Köln, PD Dr. Luise Gaede, Med. Klinik 2 – Kardiologie und Angiologie, Universitätsklinikum Erlangen,

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