Es bleibt nur die Flucht nach vorne

Ambulantisierung-- Die deutsche Krankenhauslandschaft hat mehrere sozioökonomische „Schocks“ zu bewältigen, und jetzt kommen auch noch Reformvorschläge für eine weitere Ambulantisierung der Medizin – ein Vorhaben, das für allgemeine Verunsicherung sorgt.

Von PD Dr Birgit Markus und Dr. Sebastian Griewing Veröffentlicht:
Vorangehen heißt die Devise im deutschen Gesundheitswesen, um das „Ambulantisierungsversäumnis“ aufzuholen.

Vorangehen heißt die Devise im deutschen Gesundheitswesen, um das „Ambulantisierungsversäumnis“ aufzuholen.

© Coloures-Pic/stock.adobe.com

Die Wolken am Horizont verdunkeln sich und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) stellt sich abermals schützend vor das Deutsche Gesundheitssystem. Ein Hagelsturm aufeinanderfolgender sozioökonomischer Schocks hält die deutschen Krankenhäuser in Atem.

Obwohl aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes noch ausstehen, lassen die Prognosen und die Erfahrungen aus dem ersten Pandemiejahr 2020 nichts Gutes erahnen. Demnach steigen die Gesundheitsausgaben in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2020 auf ein Allzeithoch von 440,6 Mrd. € bzw. 13,6 % des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Staatliche Ausfalls- und Ausgleichszahlungen haben als finanzieller Zwischenstabilisator die wirtschaftliche Lage der deutschen Krankenhauslandschaft über die lange Phase des pandemischen Geschehens kaschiert.

Welle von Krankenhausinsolvenzen

Die anhaltende sozioökonomische Schieflage der vergangenen Jahre holt den deutschen Krankenhaussektor an der Schwelle zum Jahr 2023 jedoch ein. Noch in den Seilen hängend und mit den Nachwehen der COVID-19-Pandemie kämpfend, zog das Krankenhausbarometer ein düsteres Fazit: Nur 6 % der Krankenhäuser schätzen ihre wirtschaftliche Lage im Jahr 2022 als eher gut ein, mehr als die Hälfte der Versorgungseinrichtungen erwartet eine Verschlechterung ihrer finanziellen Situation. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) prophezeit eine Welle an Krankenhausinsolvenzen. Zu bekannten Problemen der Pflegekrise und des Fachkräftemangels kommt nach der Pandemie nun der nächste sozioökonomische Umbruch hinzu: Eine drohende wirtschaftliche Rezession und sprunghafte Inflation aufgrund der durch den russisch-ukrainischen Konflikt ausgelösten Energie- und Flüchtlingskrise.

Als würde man den Negativnachrichten vorweggreifen wollen, so veröffentlichte das BMG am 6. Dezember die dritte Stellungnahme der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung mit dem Ziel der nachhaltigen Stabilisierung der aus den Fugen geratenen Krankenhausvergütung. Im Fadenkreuz: das DRG-System. Folgt man den Formulierung des BMG, so sei es jenes Abrechnungssystem, welches „…die Potenziale für eine Ambulantisierung der ärztlichen und pflegerischen Versorgung nicht ausschöpft“. Ein Blick in die Leistungskennzahlen der Klinik für Kardiologie am Universitätsklinikum in Marburg zeigt, wozu dieses „Ambulantisierungsversäumnis“ geführt hat: Die mit der anhaltenden Versorgungszentralisierung in Kauf genommene Kombination aus fallender durchschnittlicher Fallschwere und damit einhergehend abnehmender mittlerer ökonomischer Falleffizienz haben eine schrittweise Verkürzung der mittleren Verweildauer erzwungen, um bei ausbleibendem organischen Wachstum mit dem erhöhten Patientenaufkommen Schritt zu halten. Ein Trend, der in den vergangenen drei Jahren zum Überhitzen der Versorgungsinfrastruktur geführt und einen drohenden Kollaps ausgelöst hat.

Neuer AOP-Vertrag sorgt für allgemeine Verwirrung

Nun veranschlagen die BMG-Reformvorschläge ein bereits seit Jahrzehnten antizipiertes Ambulantisierungkorsett. An der Spitze die neue bundesweite Stufeneinteilung: Die Universitätsmedizin und das Level IIIU. Neben den altbekannten Tugenden der Exzellenzmedizin, Forschung und Lehre erlangt nun zudem die Koordination und Restrukturierung der eigenen regionalen Organisations- und Versorgungsinfrastrukturen eine ungeahnte Bedeutung.

Damit ist nun allerspätestens die Zeit gekommen, den zum 1. Januar verabschiedeten AOP-Vertrag – den neu angepassten Vertrag zur Durchführung ambulant durchführbarer Operationen, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen gem. §115b, Abs.1 SGB V – in die Hand zu nehmen. Der Schulterschluss zwischen dem GKV-Spitzenverband, der DKG sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sorgt allerdings aufgrund neu definierter Kontextfaktoren, welche die GAEP-Kriterien abgelöst haben und zukünftig die stationäre Therapie rechtfertigen sollen, noch zur allgemeinen Verwirrung: Wie, wo und wann sollte, konnte oder müsste nun ambulant gedacht werden? Die vage Formulierung schürt die Verunsicherung über die notwendige Anpassung organisatorisch-struktureller Begebenheiten, der Ausstattung, Personalplanung und des Zeitmanagements in neu zu generierenden, ambulanten Bereichen.

Nicht zuletzt erzwingen aber auch rasant schwindende „human resources“ in den Krankenhäusern die zunehmende Ambulantisierung. Arztstellen werden demografisch den bereits abnehmenden Pflegezahlen folgen. Der Trend wirkt zunächst düster: Eine stationäre Therapie in der Kardiologie kann es nur noch im Notfall oder bei bestimmten Indikationen und Begleitfaktoren geben.

Ob die „autodidaktische“ Restrukturierung zur Steigerung oder Abnahme der stationär-ambulanten Interaktion führt und welche Auswirkungen sich hierdurch auf die Ausbildung des medizinischen Nachwuchses und die Weiterentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Expertise in Forschung und Lehre ergeben, lässt sich noch nicht abschließend beantworten. Dass sich allerdings etwas bewegen muss, haben die vergangenen Jahre bewiesen. Aktuell bleibt nur die Flucht nach vorne.

Fazit

Am 1. Januar wurde der neue AOPVertrag verabschiedet, der die Durchführung ambulant durchführbarer Operationen, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen regelt.

Die dadurch erforderliche Anpassung der strukturellen Begebenheiten, der Ausstattung, Personalplanung und des Zeitmanagements sorgt für allgemeine Verunsicherung.

Auch wenn der sich dadurch ergebende Trend für die Kardiologie düster erscheinen mag (stationäre Therapien nur noch im Notfall oder unter bestimmten Begebenheiten), bleibt nur die Flucht nach vorne.

Kontakt-- PD Dr. med. Birgit Markus, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Dr. med. Sebastian Griewing, M.Sc.Universitätsklinikum Marburg,

Literatur bei der Verfasserin/dem Verfasser

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