Mehr Präzision in der Prävention

Paradigmenwechsel-- Im Team der kardiovaskulären Risiko-Prognose-Tools sitzen SCORE2 und Co. bald auf der Auswechselbank. Die neuen Stars auf dem Feld heißen „multimodale Bildgebung“, „moderne Biomarker“ und „personalisierte Therapie“.

Von Prof. Amir A. Mahabadi Veröffentlicht:
Kardiovaskuläre Prävention besteht aus verschiedenen Komponenten.

Kardiovaskuläre Prävention besteht aus verschiedenen Komponenten.

© Andrew Baker / Ikon Images / mauritius images

Modifizierbare kardiovaskuläre Risikofaktoren wurden erstmals vor gut 60 Jahren durch die Framingham Investigatoren beschrieben. Seitdem streben Kardiologinnen und Kardiologen danach, durch Modifikation der Risikofaktoren die Erstmanifestation von Erkrankungen zu verhindern oder das Fortschreiten einer bereits bestehenden Erkrankung zu verlangsamen. Konkret werden im Alltag häufig die sogenannten traditionellen Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, Diabetes oder Nikotinabusus verwendet. Um das Risiko der Patienten abzuschätzen, wurden in den letzten Jahrzehnten immer wieder neue Algorithmen zur Bestimmung des kardiovaskulären Risikos (Framingham Risk-Score, Procam-Score, SCORE) vorgestellt. Aktuell wird die Verwendung des SCORE2 von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie empfohlen. Dieser stellt eine Weiterentwicklung im Vergleich zum SCORE dar, erfasst nun das Non-HDL-Cholesterin statt des Gesamtcholesterins und gibt das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse statt nur die kardiovaskuläre Mortalität an. Aber die große Revolution ist ausgeblieben. Entsprechend moderat ist auch die Verbesserung der Vorhersage in der Primärprävention. Zusammengefasst darf bezweifelt werden, dass die Anwendung von Algorithmen basierend auf traditionellen Risikofaktoren die adäquate Risikoevaluation der häufigsten Erkrankungen der industrialisierten Welt ermöglicht.

Abb. 1: Prävention in der Präzisionskardiologie: Prävention in der Präzisionskardiologie erfolgt auf drei Ebenen: Basis ist die allgemeine Empfehlung zum gesunden Lebensstil für alle Patienten. Moderne Diagnostik detektiert in einem zweiten Schritt die individuelle Risikokonstellation, um diese dann personalisiert zu therapieren.

Abb. 1: Prävention in der Präzisionskardiologie: Prävention in der Präzisionskardiologie erfolgt auf drei Ebenen: Basis ist die allgemeine Empfehlung zum gesunden Lebensstil für alle Patienten. Moderne Diagnostik detektiert in einem zweiten Schritt die individuelle Risikokonstellation, um diese dann personalisiert zu therapieren.

© Mahabadi

Das Ziel: Risikofaktoren personalisiert angehen

Und genau hier kommt die kardiovaskuläre Präzisionsmedizin in der Prävention zum Tragen. Denn durch innovative Diagnostik wie beispielsweise die Zuhilfenahme von multimodaler Bildgebung und modernen Biomarkern kann es gelingen, das individuelle Risiko des Patienten spezifisch zu erfassen und ihm so eine personalisierte Risikofaktormodifikation anzubieten.

In der Primärprävention ermöglicht etwa eine native CT-Untersuchung der Herzen die Quantifizierung der Koronarverkalkung. Hierdurch können Patienten mit erhöhtem Risiko detektiert werden. Gleichzeitig ist es möglich, diejenigen Patienten zu identifizieren, die nicht von einer primärprophylaktischen Statintherapie profitieren. In der Sekundärprävention erlaubt die State of the Art intrakoronare Bildgebung mittels IVUS, OCT und NIRS, die Ausprägung der Erkrankung des jeweiligen Patienten besser zu verstehen. Hinzu kommen neue spezifische therapeutische Ansätze wie etwa in der Lipidtherapie, wo monoklonale Antikörper, siRNAs und Antisense-Oliogonukleotide eine hocheffektive Senkung von LDL-Cholesterin, Lp(a) und Triglyzeriden ermöglichen.

Die Zukunft: Algorithmen sollen Vorhersagen verbessern

Ein weiterer Meilenstein ist mittelfristig durch die konsequente Auswertung strukturierter Daten zu erwarten. Bisherige Analysen zeigen, dass der Einsatz von Algorithmen unter Zuhilfenahme künstlicher Intelligenz die Vorhersage einzelner Erkrankungen deutlich verbessern kann.

Auch wenn hier nur erste Ansätze wissenschaftlich aufgearbeitet sind und die flächendeckende Integration in den ärztlichen Alltag noch aussteht, ist schon jetzt abzusehen, dass die Integration von künstlicher Intelligenz in unsere Arbeitsabläufe sowohl die Diagnostik als auch die Therapieevaluation kardiovaskulärer Erkrankungen erheblich verbessern wird.

Fazit

Die Präzisionskardiologie ermöglicht die Etablierung neuer Behandlungspfade weg von allgemeinen Empfehlungen für alle Patienten, hin zu einer personalisierten Risikoevaluation, Diagnostik und Therapie.

Damit ist sie die Grundlage für den dringend benötigten Paradigmenwechsel in der Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen.

Kontakt-- Prof. Amir A. Mahabadi, Westdeutsches Herz- und Gefäßzentrum, Klinik für Kardiologie und Angiologie, Universitätsklinikum Essen

Literatur beim Verfasser

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