AHRE: Antikoagulation ohne Nutzen

NOAH-AFNET-6-Studie-- Patienten und Patientinnen, die sogenannte atriale Hochfrequenzepisoden, aber noch kein im EKG dokumentiertes Vorhofflimmern aufweisen, profitieren klinisch nicht von einer oralen Antikoagulation.

Von Peter Overbeck Veröffentlicht:

Implantierte Schrittmacher- und Defibrillatoren-Systeme verfügen heute über Algorithmen, die das Auftreten von atrialen Hochfrequenzepisoden (AHRE) anzeigen. Diese zumeist kurzen atrialen Tachyarrhythmien ähneln einem Vorhofflimmern und sind ebenfalls mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko assoziiert. Das legt den Gedanken nahe, dass eine orale Antikoagulation zur Prophylaxe thromboembolischer Ereignisse auch bei Patienten mit AHRE von Vorteil sein könnte.

„Patienten mit AHRE sollten keine Blutverdünner erhalten“

Von dieser Vorstellung muss man sich nach den jetzt bekannt gewordenen Ergebnissen der NOAH-AFNET-6-Studie wohl verabschieden. „Basierend auf den Ergebnissen von NOAH-AFNET-6 sollten Patienten mit AHRE keine Blutverdünner erhalten, solange kein echtes Vorhofflimmern im EKG nachgewiesen wurde“, lautet die Schlussfolgerung von Studienleiter Prof. Paulus Kirchhof, Universitäres Herz- und Gefäßzentrum Hamburg, aus den Ergebnissen. Er hat die vom Kompetenznetz Vorhofflimmern e. V. (AFNET) durchgeführte und vom Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) unterstützte Studie in einer Hot-Line-Sitzung beim ESC-Kongress in Amsterdam vorgestellt.

Kirchhof zeigte sich vom Ausgang der Studie überrascht. Unerwartet sei vor allem die niedrige Rate ischämischer Schlaganfälle gewesen. Angesichts des Risikoprofils der beteiligten Personen – sie wiesen zu Beginn einen medianen CHA2DS2-VASc-Score von 4 und damit ein deutlich erhöhtes Schlaganfallrisiko auf – hatte man mit viel mehr Schlaganfällen gerechnet. So aber fehlte in der Studie die Basis dafür, eine substanzielle Risikoreduktion durch orale Antikoagulation nachweisen zu können. Stattdessen dominierten im Studienverlauf zunehmend die erwartbaren Nebenwirkungen der Gerinnungshemmung in Form von Blutungen. Nachdem ein Wirksamkeitsnachweis immer unwahrscheinlicher wurde und Blutungen in der Gruppe mit Antikoagulation zunahmen, wurde NOAH-AFNET-6 wegen Sicherheitsbedenken vorzeitig gestoppt.

Ergebnisse sind praxisrelevant

Nach Ansicht Kirchhofs ist NOAH-AFNET-6 gerade wegen des enttäuschenden Ausgangs von praxisrelevanter Bedeutung. Denn inzwischen sei es in der Praxis durchaus üblich, dass Patienten mit AHRE vor allem dann, wenn die Ausgangskonstellation auf ein erhöhtes Schlaganfallrisiko schließen lässt, mit Antikoagulanzien behandelt werden. Diese Praxis wird nun infrage gestellt.

NOAH-AFNET-6 ist die erste randomisierte Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit einer oralen Antikoagulation bei Patientinnen und Patienten mit AHRE, aber ohne im EKG dokumentiertes Vorhofflimmern. In der in 18 europäischen Ländern durchgeführten Studie sind 2.536 Teilnehmer (mittleres Alter 78 Jahre, 37,4 % Frauen) nach Zufallszuteilung einer Gruppe mit gerinnungshemmender Edoxaban-Therapie oder einer Kontrollgruppe (Placebo oder ggf. ASS 100 mg/Tag) zugeführt worden. Die mediane Dauer der bei ihnen detektierten AHRE betrug 2,8 h, wobei 97 % aller registrierten AHRE eine atriale Frequenz > 200 Schläge pro Minute zeigten. Zum Zeitpunkt der vorzeitigen Studienstopps waren die Teilnehmer im Median über 21 Monate nachbeobachtet worden.

Risiko für Blutungen bei Antikoagulation verdoppelt

Primärer Wirksamkeitsendpunkt war eine Kombination der Ereignisse Schlaganfall, systemische Embolie und kardiovaskulär verursachter Tod. Entsprechende Ereignisse traten im Studienverlauf bei 83 Patienten (Inzidenz: 3,2 %/Jahr) in der Gruppe mit Antikoagulation und bei 101 Patienten (4,0 %/Jahr) in der Kontrollgruppe auf (Hazard Ratio, HR: 0,81; 95%-Konfidenzintervall, KI: 0,6–1,1; p =  0,15). Die jährliche Rate an Schlaganfällen war dabei mit 1,1 % (Antikoagulation) und 0,9 % (Kontrollen) in beiden Gruppen relativ niedrig.

Im Sicherheitspunkt kombinierte Ereignisse waren schwerwiegende Blutungen und Todesfälle jeglicher Ursache. Betroffen davon waren am Ende 149 Patienten (5,9 %/Jahr) in der Edoxaban-Gruppe und 114 Patienten (4,5 %/Jahr) in der Kontrollgruppe. Der Unterschied entspricht einer signifikanten relativen Risikozunahme um 31 % in der Gruppe mit Antikoagulation im Vergleich zur Kontrollgruppe (HR: 1,31; 95%-KI: 1,07–1,67; p = 0,03). Ausschlaggebend dafür war eine rund doppelt so hohe Rate an Blutungen in der Gruppe mit Antikoagulation (HR: 2,10; 95%-KI: 1,30– 3,38; p = 0,002). Ein per EKG-Nachweis festgestelltes Vorhofflimmern trat im Zeitraum der NOAH-AFNET-6-Studie bei 18 % aller Teilnehmer auf.

Fazit

Die vom Kompetenznetz Vorhofflimmern durchgeführte randomisierte NOAH-AFNET-6-Studie untersuchte erstmals den Wert einer Antikoagulation bei atrialen Hochfrequenzepisoden.

Die Antikoagulation führte zu mehr Blutungen, ohne das (niedrige) Schlaganfallrisiko zu senken.

Patienten mit AHRE sollten keinen Blutverdünner erhalten.

Quelle-- ESC-Kongress, Hot-Line-Session 1, 25. bis 28. August in Amsterdam

Literatur-- P Kirchhof et al. N Engl J Med. 2023; https://doi.org/10.1056/NEJMoa2303062

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