Ärztegesundheit für Kardiologen

Kommentar--

Ein Kommentar von Dr. Bernhard Mäulen Veröffentlicht:
Dr. Bernhard Mäulen--Institut für Ärztegesundheit, VillingenMäulen

Dr. Bernhard Mäulen--Institut für Ärztegesundheit, Villingen

© Mäulen

Die Ergebnisse der Arbeit von Sinsky et al. bestätigen Forschungsergebnisse der Ärztegesundheit weltweit: Die Ressource Arzt ist nicht endlos belastbar. Zu hohe Fallzahlen, zu wenig Pausen, zu wenig Urlaub und zu lange Arbeitszeiten fördern Burn-out, führen zu Unzufriedenheit und vermindern signifikant die Arbeitszufriedenheit. Dutzende solcher Studien wurden von Schwartz & Angerer 2010 zusammengefasst. Ein Ergebnis unter vielen: Burn-out, Depressivität, Substanzmissbrauch und Suizidalität sind gravierende gesundheitliche Risiken, denen wir Ärzte gegenüberstehen. Diese basieren in der individuellen Vulnerabilität, sind aber auch Resultat struktureller Rahmenbedingungen unserer Arbeit, die mit Überbürokratisierung, Controlling-Maßnahmen, Arbeitsverdichtung sowie mangelnder Wertschätzung einhergehen.

Gesichert ist, dass müde, demotivierte, ausgebrannte Ärzte schlechtere Arbeit leisten, häufiger ihre Stelle wechseln und eine erhöhte Fehlerrate aufweisen. Kardiologen sind dabei nicht besser geschützt als andere Arztgruppen, sie verhalten sich auch nicht selbstfürsorglicher, wenn sie selber kardial erkranken. Ein Beispiel: Dr. Lewis Dexter, Professor für Innere Medizin/Kardiologie der Harvard Medical School mit langjähriger Angina pectoris, ging mit akutem Lungenödem zur Klinik, um Visite und Vorlesung zu absolvieren. Ein akuter Herzinfarkt gefolgt vom Herzstillstand brachte ihn in Lebensgefahr, über die er schrieb: „Ich verleugnete meine Krankheit sehr stark und suchte mich selbst zu behandeln – ein nachweislich extrem dummes Vorgehen!“ Es scheint ein Paradox, dass diejenigen Ärzte, die beim Infarkt um jede Sekunde kämpfen, bei Gefährdung der eigenen Gesundheit Wochen, Monate oder Jahre verschwenden. Hier ist die Balance zwischen Fremd- und Selbstfürsorge eindeutig falsch.

Was bräuchte es, um Kardiologen zu mehr Wertschätzung der eigenen Gesundheit zu bewegen? In der Behandlung erkrankter Ärzte zeigt sich, dass hinter dem Wunsch Arzt zu werden oft eine bestimmte Kindheitserfahrung von Hilflosigkeit liegt – bei mir z. B. der frühe Tod meiner Mutter. Es geht darum, tieferliegende Gründe für die Wahl des Arztberufes bei sich zu erkennen. Heilsam wäre überdies eine Überwindung der Überidentifikation mit dem Arztberuf: Wir sind nicht nur Kardiologe oder Kardiologin, sondern wir haben auch Bedürfnisse, Ängste, Liebe und ihre bitteren Enttäuschungen, die wir in der Wahrnehmung behalten sollten. Wir brauchen eine neue Team-Kultur, sodass kranke Kollegen zu Hause bleiben und wir Pausen und Ferien einhalten können.

Wichtig ist ferner die Weitergabe zentraler Erkenntnisse der Ärztegesundheit, wobei Ärztekammern und Fachgesellschaften, u. a. die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, die Bedeutung der Ärztegesundheit erkannt haben und hier Vorträge anbieten. Trotzdem besteht leider kein Grund zum Aufatmen, denn die gesundheitspolitischen Entscheidungen der letzten Jahre sowie die größeren Herausforderungen, welche eine immer ältere und polymorbider werdende Bevölkerung stellen, lassen für die kommenden Jahre wenig Spielraum erwarten. Jeder Arzt muss seinen persönlichen Entscheidungsspielraum ausloten, um zu entscheiden, wie viel an Belastung und Dauerbeanspruchung er/sie auf Dauer leisten kann. Für die US-Medizinstudenten hat sich ein Motto bewährt: Your first patient is you!

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