Erfahrungen aus der Praxis

Gelebte Heart-Teams in Deutschland: Teil 1

Innenansicht der Herzmedizin-- Führende Professoren aus Herzchirurgie und Kardiologie verschiedener Standorte in der Bundesrepublik beurteilen die praxisorientierte Zusammenarbeit in ihren Heart-Teams und schildern ihre Erfahrungen.

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Gelebte Heart-Teams in Deutschland: Teil 1

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Bad Rothenfelde

Entscheidung im Konsens

Gelebte Heart-Teams in Deutschland: Teil 1

© Doll

Gelebte Heart-Teams in Deutschland: Teil 1

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Herzmedizin bietet zunehmend breitere Therapiemöglichkeiten, die durch katheterinterventionelle oder minimalinvasive Zugänge immer schonender werden. Bei komplexen Entscheidungen sollten Patientin oder Patient frei von wirtschaftlichen und emotionalen Überlegungen im Mittelpunkt stehen.

Es ist daher gute Tradition, dass Heart-Team-Entscheidungen im Konsens von Herzchirurgen, interventionell tätigen Kardiologen und dem (konservativ tätigen) Stationsarzt im Rahmen fest etablierter (täglicher) Konferenzen getroffen und protokolliert werden. Bei Bedarf lassen sich andere Fachdisziplinen, wie Anästhesie, Radiologie oder auch der Hausarzt einbinden. Der Zuweiser erhält immer das schriftliche Protokoll der Heart-Team-Entscheidung. Bei sehr komplexen Fällen wird das Prozedere ggf. mit dem Zuweiser telefonisch besprochen. Wir haben die stationäre Versorgung struktureller Herzerkrankungen interdisziplinär organisiert, um postinterventionelle Versorgung und nachfolgende Therapien bei der täglichen gemeinsamen Visite im Heart- Team zu planen. Das gelingt mit gegenseitigem Respekt und Wertschätzung der anderen Sicht und kommt der Qualität der Patientenversorgung zugute. Sowohl die hohe Patientenzufriedenheit mit geringen Komplikationen als auch die Freude des Heart-Teams am gemeinsamen Therapieerfolg tragen diesem Konzept Rechnung. Auch kurzfristige Therapieentscheidungen in Notfallsituationen (Impella, ECMO, LVAD, OP vs. Intervention) sind so im Sinne der Patientinnen und Patienten reibungslos möglich.

Wir sind überzeugt, dass wir mit dem konsequenten interdisziplinären Versorgungsansatz die Behandlungsqualität erhöhen. Ein gemeinsamer Auftritt vor dem Patienten steigert dessen Vertrauen und resultiert in Zufriedenheit, die wiederum zu positiven Empfehlungen führt. Durch Interdisziplinarität werden alle Beteiligten eher ein Wachstum ihrer Abteilungen sehen. Das kann aber nur funktionieren, wenn das System aus Konzern, Geschäftsführung, Abteilungsleitung und Pflegedirektion, den Ansatz mitträgt und nicht aus wirtschaftlichem Interesse monetäre Ziele vereinbart, die gute Zusammenarbeit verhindern. Tägliche Arbeit im Heart-Team ermöglicht wertvollen Wissensaustausch und den Blick über den „Tellerrand“ des eigenen Fachgebietes. Nur so können zünftig aus Visionen Innovationen werden, die uns gemeinsam wissenschaftlich voranbringen.

Prof. Dr. Nicolas Doll und Prof. Dr. Gerold Mönnig, Schüchtermann-Klinik Bad Rothenfelde

Karlsruhe

Individuelles Therapiekonzept

Gelebte Heart-Teams in Deutschland: Teil 1

© Widder

Gelebte Heart-Teams in Deutschland: Teil 1

© Jacobshagen

Gelebte Heart-Teams in Deutschland: Teil 1

© Mehlhorn

Das Heart-Team Karlsruhe hat seit 2008 über 5.000 TAVI-Prozeduren durchgeführt. Sämtliche Implantationen erfolgen paritätisch durch das lokale Heart-Team, bestehend aus einem interventionellen Kardiologen des Städtischen Klinikums Karlsruhe (Leitung: Prof. Dr. Julian Widder) oder der ViDia Christliche Kliniken Karlsruhe (Leitung: Prof. Dr. Claudius Jacobshagen) und einem Herzchirurgen der Helios Klinik für Herzchirurgie Karlsruhe (Leitung: Prof. Dr. Uwe Mehlhorn). Die Patienten-„Akquisition“ findet zu gleichen Teilen über die drei partizipierenden Einrichtungen statt. Wöchentlich werden in Heart-Team Konferenzen Patientinnen und Patienten mit Herzklappenvitien gesichtet. Erfahrene TAVI-Implanteure beider Kardio-Fachrichtungen tauschen sich über die Befunde, gestützt auf aktuelle Bildgebung via CT und Echokardiografie, aus und entwerfen gemeinsam einen optimalen, leitliniengerechten Therapieplan.

Nicht immer (aber häufig) ist die TAVI die Methode der Wahl – vor allem das individuelle Behandlungskonzept unserer Patientinnen und Patienten steht im Vordergrund. Da nahezu täglich bis zu 4 TAVI im konsistenten, eingespielten Heart-Team stattfinden, können dringliche oder komplexe Fallkonstellationen auch außer der Reihe von Routiniers besprochen werden. Damit erreichen wir Flexibilität und Qualität auf hohem klinischen Niveau.

Überwiegend komplikationsfrei

Beim überwiegenden Teil der heute durchgeführten TAVI treten keine schwerwiegenden Komplikationen auf. Gründe für die Verbesserungen sind vor allem die erfahrenen Heart-Teams, die sorgfältige Patientenauswahl und -vorbereitung, die verbesserte Qualität der Bildgebung und weiterentwickelte Implantationstechniken sowie der technologische Fortschritt der letzten Generation der Transkatheter-Klappensysteme. In Deutschland hat die Rate der intraprozeduralen Komplikationen über die letzten Jahre signifikant abgenommen – sie treten aber doch noch auf. Hierzu gehören im Einzelnen Klappenfehlpositionierungen oder -embolisationen, Koronarverschlüsse, Aortendissektionen, Anulusrupturen, Perikardtamponaden oder schwere Aortenklappeninsuffizienzen, die einen notfallmäßigen herzchirurgischen Eingriff erfordern.

Daher ist ein aktiv implantierendes Heart-Team, welches beide, also den interventionellen Kardiologen und den Herzchirurgen einschließt, von größter Bedeutung. Allerdings wächst der Druck, TAVI auch in Einrichtungen ohne Herzchirurgie vor Ort in Betracht zu ziehen, argumentativ nicht nur wegen, sondern auch aufgrund der Meinung, dass „… die Ergebnisse von Patienten, die mit Notfalloperationen behandelt werden, düster sind, egal wo der Eingriff durchgeführt wird“ [1]. Dies ignoriert aber die verfügbaren Daten.

Gemäß einschlägigen Publikationen liegt die durchschnittliche 30-Tage-Überlebensrate von herzchirurgischen Notfalleingriffen bei TAVI-Prozeduren bei etwa 56,7 % (Bereich zwischen 33,3 % und 67,1 %). Darüber hinaus stellte das unabhängige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (= IQWIG) kürzlich fest, dass in Krankenhäusern, in denen TAVI häufiger durchgeführt werden, Patienten, die operiert werden müssen, höhere Überlebensraten haben [2]. Dies unterstreicht die Bedeutung von Herzklappenzentren, die Hybrid-OPs, Herzchirurgie vor Ort und Kardiotechniker mit CPB im OP anbieten.

Wie andere auch, sind wir der festen Überzeugung, dass ein erfahrenes und eingespieltes Heart-Team von entscheidender Bedeutung ist, um lebensbedrohlichen Komplikationen vorzubeugen, und bei Bedarf sofort interventionelle oder chirurgische Lösungen bereitzustellen. Die unterschiedlichen Perspektiven und Fähigkeiten des interventionellen Kardiologen und des Herzchirurgen bieten das perfekte Rüstzeug und Umfeld für eine optimale Planung und Durchführung von TAVI-Eingriffen, insbesondere in Hochrisikosituationen. Diese gemeinsame Anstrengung ist der Garant für eine optimale Patientensicherheit, die nicht infrage gestellt werden darf.

Prof. Dr. Julian Widder, Prof. Dr. Claudius Jacobshagen, Prof. Dr. Uwe Mehlhorn, Herzzentrum Karlsruhe

Kölner Herzzentrum

Wir leben die Teamarbeit

Gelebte Heart-Teams in Deutschland: Teil 1

© Baldus

Gelebte Heart-Teams in Deutschland: Teil 1

© Wahlers

Wir werden von unseren Patientinnen und Patienten gemeinsam wahrgenommen. Diese wünschen sich dass ihr spezifisches Problem von allen Experten gemeinsam diskutiert wird und man zu einer optimalen, individuellen und abgestimmten Meinung kommt, wie zu behandeln ist.

Dieser Erwartung müssen wir entsprechen. Und so haben wir unsere intensive Zusammenarbeit im Haus als Muster genommen, ebenso mit externen Zuweisern zu arbeiten. Das bedeutet, dass wir mit den mengenmäßig bedeutsamsten Zuweisern einmal wöchentlich eine Herzkonferenz abhalten, bei der das gesamte Heart-Team des Zentrums die Patienten mit den Zuweisern diskutiert und abschließend einen Behandlungsplan dokumentiert. Bei Zuweisern mit kleinerer Fallzahl wird oft auf der Arztbriefüberweisung ergänzt „Bitte im Herz-Team diskutieren“, was wir dann gemeinsam im Herzzentrum umsetzen, um auch in diesem Fall eine abgestimmte Meinung zu entwickeln.

Breite Diskussion der individuellen Problematik

Für die Patientinnen und Patienten bedeutet das immer eine breite Diskussion ihrer individuellen Problematik, die bei guter Kommunikation mit den Zusammenarbeitenden nicht zuletzt auch den Wunsch des Patienten einschließt. Grundlage solch einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sind technische Hilfen wie Videokonferenz, Übertragung der bildgebenden Diagnostik und persönliche Zusammenarbeit der Sekretariate und verantwortlichen OÄs.

In Köln funktioniert dieser Ansatz sehr gut, weil sich durch TAVI-Kooperation das Verständnis zwischen den Beteiligten vertieft hat. Dies hat Einfluss genommen auf die Weiterentwicklung von AV-Klappen-Programmen und/oder Überweisung von kritisch Kranken, die einer ECMO/LVAD-Therapie bedürfen oder interventionell besser im Herzzentrum behandelt werden, mit Rückendeckung der Chirurgie. Wir freuen uns an dieser Zusammenarbeit, denn sie ist ein Indikator für Qualität und erweitert den Blickwinkel.

Prof. Dr. Stephan Baldus und Prof. Dr. Thomas Wahlers, Herzzentrum Köln

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