TAVI: Goldstandard war gestern!

Aortenstenose-- Angesichts der aktuellen Studienlage werden die Stimmen lauter, die TAVI als neuen Goldstandard zur Behandlung von Aortenstenosen zu proklamieren. Doch ist der Begriff „Goldstandard“ in dieser Indikation überhaupt noch zeitgemäß?

Von Prof. Tim Seidler und Prof. Julinda Mehill Veröffentlicht:
TAVI-Prothesen haben sich über die Jahre rasant weiterentwickelt. Arne Dedert/dpa/picture alliance

TAVI-Prothesen haben sich über die Jahre rasant weiterentwickelt. Arne Dedert/dpa/picture alliance

© Arne Dedert /dpa / picture alliance

Die transfemorale katheterbasierte Aortenklappenimplantation (TAVI) wurde in einer langen Serie prospektiv randomisierter Studien mit dem chirurgischen Aortenklappenersatz (SAVR) verglichen. Dabei erwiesen sich die Medtronic CoreValve- und Edwards Sapien-TAVI-Prothesen kurz- bis mittelfristig für ein breites Risiko- und Altersspektrum als mindestens so gut wie SAVR. Inmitten der festgefahrenen Diskussion um die Relevanz nur spärlich vorhandener Langzeitergebnisse sind inzwischen die viel beachteten 8-Jahres-Daten der Notion-Studie erschienen. In dieser Studie zeigte die weitverbreitete CoreValve-TAVI-Prothese weniger strukturelle Degeneration (SVD) als chirurgische Prothesen. Nunmehr werden Stimmen lauter, die TAVI als neuen Goldstandard ausrufen.

Indikationsstellung bei TAVI sollte individuell gefällt werden

Für Patientinnen und Patienten ab einem Alter von 75 Jahren und für Patienten mit hohem OP-Risiko ist die TAVI heute fast unbestritten die erste Wahl. Wichtige Ausnahmen sind beispielsweise endokarditisch entzündete Klappen oder extreme Kalkverteilungsmuster im linksventrikulären Ausflusstrakt sowie die schwere koronare 3-Gefäß-Erkrankung und Mehrklappenerkrankungen.

Prof. Julinda Mehilli Krankenhaus Landshut-Achdorf

Prof. Julinda Mehilli Krankenhaus Landshut-Achdorf

© Mehilli

Prof. Tim Seidler Universitätsmedizin Göttingen

Prof. Tim Seidler Universitätsmedizin Göttingen

© Seidler

ACC und ESC grenzen zudem (etwas unterschiedlich) einen Alters- und Risikokorridor ab, in dem TAVI und SAVR hinsichtlich harter Endpunkte ähnlich abschneiden und die Degenerierung der ersten Prothese wahrscheinlich erlebt wird. Bewegt sich ein Patient innerhalb dieses Korridors, entscheidet das Heart-Team differenzierter unter genauer Würdigung unterschiedlichster Parameter eines Patienten über das Verfahren (TAVI vs. SAVR). Diese Festlegung im HeartTeam-Prozess bei ambivalenten Patientengruppen ist nicht durch große Studien gedeckt, da in den Studien die Randomisierung und nicht die Heart- Team-Entscheidung die Wahl des Verfahrens bestimmte. Die individualisierte Entscheidung im Heart-Team mit verpflichtender persönlicher Inaugenscheinnahme des Patientenzustandes durch die Entscheidungsträger sowie Auswertung von Computertomogramm, Anamnese, Komorbiditäten, EKG, Koronarstatus usw. ist für die Auswahl des Aortenklappenersatzverfahrens tatsächlich häufig informativ.

Goldstandard-Begriff steht im Widerspruch zum aktuellen Konsenes

Insofern erscheint es derzeit nicht notwendig, die TAVI als neuen Goldstandard für ambivalente Fälle zu proklamieren. Der Goldstandard-Begriff im Sinne einer Generalisierung der Entscheidungsfindung steht dem Wesen nach im direkten Widerspruch zum aktuellen Konsens, dass über beide Verfahren individualisiert entschieden werden sollte. Derzeit gilt die verpflichtende Heart-Team-Entscheidung nur für die Versorgung mit TAVI, nicht aber mit SAVR. Das ist ein Relikt aus der Phase, in der die SAVR noch zu Recht als Goldstandard bezeichnet werden konnte. Heute sollte der individuelle Entscheidungsansatz nicht abhängig vom Eingriffsverfahren (TAVI), sondern abhängig von der Diagnose (Aortenklappenstenose) bei jedem Patienten innerhalb des ambivalenten Alters- und Risikokorridors angewandt werden. Es wäre jedoch sinnvoll, im Konsens mit beiden Fachgesellschaften die Heart-Team-Entscheidung sowohl für die Versorgung mit TAVI als auch mit SAVR verpflichtend zu machen und dafür die Heart-Team-Ressourcen bei eindeutigen Fällen (z. B. bei über 75-Jährigen und unter 70-Jährigen) zu schonen.

Prothesenwahl langfristig entscheidender als Verfahrenswahl?

Einige Register, wie zuletzt das UK TAVI-Register, zeigten kürzlich mit bis zu zehn Jahren Beobachtungsdauer eine gute Langzeithaltbarkeit der TAVI-Prothesen. Die bereits erwähnte Notion-Studie stellte randomisiert mit prospektiver Beobachtung verschiedene chirurgische Klappen der CoreValve-TAVI-Prothese gegenüber und zeigte eine geringere strukturelle Degeneration dieser TAVI-Prothese nach acht Jahren im Vergleich zu SAVR. Dieses Studienergebnis markiert jedoch nicht das Ende der Diskussion um die Langzeitergebnisse; randomisierte Ergebnisse zur Sapien-Klappe sind nur für fünf Jahre publiziert. Man kann den Daten aus Notion auch entgegenhalten, dass die Fallzahlen klein sind und die rasante Phase der Klappendegeneration erst nach ca. zehn Jahren beginnt. Mit Bekanntgabe der sehr guten Ergebnisse zur strukturellen Klappendegeneration für die CoreValve-Prothese wird es aber zunehmend unwahrscheinlich, dass aus der initialen Beanspruchung der Klappen durch das Crimping ein bedeutender verfahrensimmanenter Nachteil der TAVI für die Langzeitergebnisse resultiert.

Mittelbar weist Notion vielmehr darauf hin, dass die langfristige Haltbarkeit sich weniger am initialen Verfahren (TAVI vs. SAVR), sondern mehr an der Konzeption verschiedener Prothesen selbst festmachen könnte – und das nicht zwangsläufig zum Nachteil einer TAVI-Prothese. Die Beobachtung, dass die Prothese an sich einen Unterschied macht, wäre nicht überraschend. Auch die Erfahrung mit verschiedenen chirurgischen Prothesen ergab durchaus heterogene Langzeitergebnisse.

Langfristig gilt es mehrere Faktoren zu berücksichtigen

Ohnehin ist die Diskussion um die Langzeitergebnisse komplex und sollte nicht ohne Berücksichtigung der folgenden Aspekte geführt werden:

Unabhängig von den Langzeitdaten der initialen Prothese ist deren Akutergebnis kurzfristig und auch auf Dauer relevant.

Besonders für jüngere Patientinnen und Patienten ist relevant, ob die Prothesenauswahl die Ergebnisse eines Valve-in-Valve-Zweiteingriffs begünstigt und welche Gesamthaltbarkeit dann aus der kombinierten Lebensdauer beider Prothesen resultiert.

Nicht nur bei TAVI, sondern auch bei zahlreichen SAVR-Prothesen sind keine hochwertigen Langzeitdaten existent. Das gilt besonders für die neuen „sutureless“ SAVR-Klappen. Aber auch etablierte SAVR-Prothesen wurden vielfach nicht nach strengen wissenschaftlichen Standards hinsichtlich der SVD untersucht. Beispielsweise wurde bei SAVR oft die SVD anhand der Reimplantationsrate aus Registern bemessen anstatt anhand echokardiografischer Untersuchungen. Die SVD dieser SAVR-Prothesen wurde deshalb vermutlich unterschätzt. Würde man für jede neue Prothesengeneration erst eine zehnjährige Studie abwarten, wäre die Entwicklung massiv gebremst. Umgekehrt sollten Modelle, die mit nur mäßiger Evidenz ausgestattet sind, in der Routineversorgung nicht unbegründet solchen Prothesen den Rang ablaufen, zu denen aufwändige prospektiv randomisierte Head-to-Head-Vergleiche vorliegen. Im Spannungsfeld zwischen notwendiger Innovationsfreundlichkeit und Patientenschutz zeigt das Beispiel Frankreich, dass man durchaus restriktiver im Hinblick auf die Vielzahl in den Markt drängender TAVI-Prothesen reagieren kann.

Fazit

Neue Implantationstechniken verringern das Risiko einer Schrittmacherabhängigkeit bei TAVI, bessere Prothesen senken paravalvuläre Leckagen, Analgosedierung und Lokalanästhesie und bessere Verschlusstechniken reduzieren Gefäßkomplikationen und erlauben eine schnelle Mobilisation und Entlassung. Unterm Strich werden die Argumente gegen eine TAVI schwächer.

Doch auch die SAVR entwickelt sich qualitativ weiter, z. B. durch mehr Augenmerk auf größere Prothesendiameter.

Es gilt für die Verfahrenswahl für SAVR wie für TAVI gleichermaßen: Goldstandard war gestern – individualisierte und wissenschaftlich fundierte Therapie ist jetzt. Beide Verfahren sind notwendig und wertvoll.

Literatur beim Verfasser/der Verfasserin

Kontakt-- Prof. Dr. Tim Seidler, Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August Universität Göttingen

Lesen sie auch
Schlagworte: