Interview

Zehn „Herz-Fragen“ an Professor Erland Erdmann

Vergangenheit und Gegenwart-- Prof. Erland Erdmann hat als Kardiologe bedeutsame Änderungen in der Herz-Kreislauf-Medizin miterlebt: die erste Herztransplantation, die Entdeckung des Pathomechanismus eines Herzinfarktes, die Fortschritte in der Herzinsuffizienztherapie. Was denkt er heute darüber und wie blickt er in die Zukunft?

Ein Interview von Prof. Robert Schwinger Veröffentlicht:
Fragen an einem Experten, der vieles selbst miterlebt hat.

Fragen an einem Experten, der vieles selbst miterlebt hat.

© Valerii Evlakhov / Getty Images / iStock

1. Professor Erdmann, Können Sie sich noch an die erste Herztransplantation in Deutschland – München – erinnern, wie hat diese Ihr Empfinden für die Kardiologie verändert?

Als 1969 Prof. Werner Klinner und Prof. Friedrich Sebening in München das erste Mal ein Herz transplantierten, war ich als Student kurz vor dem Staatsexamen im Jahr 1970 tief beeindruckt und glaubte an eine nachhaltige Therapieoption für die vielen terminal herzinsuffizienten Patienten und Patientinnen. Erst nach und nach stellte sich dann aber heraus, dass die Operationen mit der Herz-Lungen-Maschine beherrschbar und in der Regel erfolgreich waren. Das immunologische Problem der in der Folge leider meist bald zum Tode führenden Abstoßungsreaktionen war zu der Zeit aber nicht wirklich verstanden. Erst in den 1980er-Jahren mit der Entwicklung relativ guter Immunsuppressiva (Ciclosporin) wurden die Herztransplantationen wieder aufgenommen – da war ich in Großhadern bereits an der Auswahl geeigneter Patienten und der Nachsorge beteiligt.

Prof. Erland Erdmann, emeritierter Ordinarius Köln

Prof. Erland Erdmann, emeritierter Ordinarius Köln

© Erdmann

2. An der Universitätsklinik in München, Großhadern, als Schüler von Professor Gerhard Riecker, haben Sie erlebt, wie Patienten mit Herzinfarkt zunächst „abgekühlt“ wurden und Jahre später haben Sie selbst an der Universitätsklinik in Köln ein Herzinfarkt-Netz etabliert. Was denken Sie heute über diesen „Sinneswandel“ oder der Weiterentwicklung im „Myokardschutz“ ?

Es erscheint uns heute als selbstverständlich, die bei einem akuten Herzinfarkt meist verschlossenen Koronarien zu rekanalisieren – und das so schnell wie möglich. Anfang der 1970er-Jahre war die Pathophysiologie des Herzinfarktes aber keinesfalls geklärt. Auf den Kongressen wurde noch darüber gestritten, ob der bei Sektionen gelegentlich entdeckte Koronarthrombus Ursache war oder sich erst sekundär bildete. Die Koronarangiografie im akuten Infarkt wurde als kontraindiziert angesehen. Deshalb galt die konservative Behandlung des Herzinfarktes mit Bettruhe und mit erst über Wochen langsam ansteigender körperlicher Belastung als Standard. Therapiefortschritte sind in der Regel erst möglich, wenn die pathophysiologischen Krankheitsursachen bekannt sind.

3. Viele Jahre haben Sie über „Digitalis“ geforscht. Wo sehen Sie heute den Stellenwert für Digitalis bei Patientinnen/Patienten mit einer Herzinsuffizienz im Sinusrhythmus?

Als ich 1970 mein Staatsexamen bestand, waren Digitalispräparate die einzigen als hoch wirksam erachteten Medikamente zur Behandlung der Herzschwäche. Auch für mich gab es daran keinen Zweifel. Ich wollte aber wissen, wie Herzglykoside wirken und ging deshalb in die Biochemie zu Prof. Wilhelm Schoner, der mit Glykosiden die (Na+/K+)-ATPase der Zellmembran ganz spezifisch hemmen konnte. Gemeinsam haben wir damals den Wirkmechanismus von Digitalis an seinem Herzmuskelzellmembran-gebundenen Rezeptor (weitgehend) aufgeklärt.

„Die konservative Behandlung des Herzinfarktes mit Bettruhe und langsam ansteigender körperlicher Belastung galt als Standard.“

Heute haben wir deutlich wirksamere Pharmaka zur Therapie der Herzinsuffizienz. Dies liegt daran, dass alle theoretisch effektiven neuen Medikamente grundsätzlich in kontrollierten prospektiven Studien hinsichtlich ihrer therapeutischen Wirksamkeit geprüft werden. Digitalispräparate haben diesen Test bislang nicht bestanden.

Rudolf Zenker (l), Werner Rudolph (m) und Werner Klinner (r) bestätigen vor Journalisten, dass am 13. Februar 1969 die erste Herztransplantation in Deutschland durchgeführt wurde.

Rudolf Zenker (l), Werner Rudolph (m) und Werner Klinner (r) bestätigen vor Journalisten, dass am 13. Februar 1969 die erste Herztransplantation in Deutschland durchgeführt wurde.

© Klaus Heirler / dpa / picture alliance

4. Spekulieren Sie bitte:  Was wird die DIG-HF-Studie zeigen?

Digitoxin hat gegenüber Digoxin deutliche pharmakokinetische Vorteile, wirkt aber nach heutigem Wissen über den identischen Membranrezeptor, ist also pharmakodynamisch als gleichartig zu werten. Deshalb erwarte ich mit Digitoxin keine großartigen Vorteile für herzinsuffiziente Patienten in der DIG-HF-Studie.

5. Die medikamentöse Therapie der Herzinsuffizienz hat eine „Revolution“ hinter sich – von der symptomatischen Therapie mit Diuretika und Digitalis zur „Big Five“ mit ACE-Hemmer/ARNI, Betablocker, MRA, SGLT2-Inhibitoren und Diuretika bei einer Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF); von der Stufentherapie zur Kombinationstherapie. Gibt es für Sie eine „optimale“ Folge, die Medikation zu beginnen, oder welches Medikament ist Ihnen am „wichtigsten“? Ist die maximale Ziel-Dosis essenziell?

Die Reihenfolge der Medikamente zur Behandlung der HFrEF ist historisch bedingt, weil neue Pharmaka immer als zusätzliche Therapie eingeführt worden sind. Mir erschien diese historische Reihenfolge recht fragwürdig, deshalb haben wir 2004 einen kontrollierten Vergleich mit ACE-Hemmern bzw. Betablockern jeweils als Erstmedikament durchgeführt (Circulation. 2005;112:2426-35). Es zeigte sich kein Unterschied hinsichtlich der Effektivität, obwohl ich persönlich die Betablocker für wichtiger gehalten hätte. Wir haben die beiden Medikamente allerdings bis zur jeweiligen empfohlenen und verträglichen Höchstdosis hochtitriert. Das sollte man wahrscheinlich mit allen Herzinsuffizienzmedikamenten tun.

Herz-Lungen-Maschine aus dem 20. Jahrhundert. Mithilfe dieser konnten Herztransplantationen erfolgreich vorgenommen werden.

Herz-Lungen-Maschine aus dem 20. Jahrhundert. Mithilfe dieser konnten Herztransplantationen erfolgreich vorgenommen werden.

© Science Photo Library

6. Trotz der Fortschritte in der Pharmakotherapie bei Herzinsuffizienz kennen wir oft nicht den oder den „einen“ Wirkmechanismus zum Beispiel bei den SGLT2-Inhibitoren, aber auch bei Betablockern, Digitalis usw. Wie wichtig ist die Kenntnis des Wirkmechanismus für den Praktiker?

Man sollte immer wissen, wie, wann und wo genau Medikamente wirken – schon um potenzielle Nebenwirkungen und Interaktionen vorherzusehen bzw. beurteilen zu können.

7. In den 1960er- und 1970er-Jahren haben sich die Kardiologie und Herzchirurgie als eigenständige Fächer etabliert; jetzt wachsen sie mit der Interventionskardiologie und interventionellen Herzklappentherapie wieder zusammen. Wird es einen gemeinsamen interventionellen Herzmediziner geben oder sollten wir uns in der Kooperation der Fächer weiterentwickeln?

Manche Kollegen und Kolleginnen, die primär technisch und interventionell orientiert sind, entwickeln sich bereits jetzt zu einem hoch spezialisierten Interventionalisten. Gewiss werden große Universitätskliniken diesen Interventionalisten zukünftig gemeinsam mit Herzchirurgen ausbilden. Beide stehen bei sehr komplexen Verfahren jetzt bereits zusammen am Operations- bzw. Kathetertisch. Seit einigen Jahren entwickeln sich hoch spezialisierte Rhythmologen als weitgehend eigenständige Disziplin.

Man sollte immer wissen, wie, wann und wo genau Medikamente wirken.

Aus meiner Sicht wird es zukünftig in großen Herzzentren eine Dreiteilung der Kardiologie in den Interventionalisten, den speziellen Rhythmologen und den allgemeinen Kardiologen (Generalisten) geben. Die Kardiologie muss sich außerhalb der großen Kliniken aber allen Herz- und Kreislauf-Erkrankungen widmen.

8. Lange Jahre waren Sie als Direktor einer Universitätskardiologie in „Heart-Team“-Entscheidungen eingebunden. Was empfehlen sie den primärversorgenden kardiologischen Kliniken: Wie kann ein „Heart-Team“ auch ohne Herzchirurgie am Standort gelebt werden?

Die Zeiten, in denen ein „gewaschener Herzchirurg“ bereitstand, wenn der Kardiologe einen Stent oder eine Klappe implantierte, sind längst vorbei. Manche komplikationsträchtigen Interventionen sollte der Kardiologe allerdings lieber den Herzzentren mit maximaler personeller und damit auch herzchirurgischer Expertise überlassen.

Auch innerhalb des Herzteams gibt es nicht selten unterschiedliche Auffassungen darüber, wer den Kranken nun behandeln soll, der Herzchirurg oder der Kardiologe.

Es hilft, wenn die Chefs der beiden Kliniken sich persönlich gut verstehen und langfristig denken. Wir hatten in Köln das Glück, dass wir uns wirklich immer gut verstanden haben. Ich kann mich an keine einzige „Unstimmigkeit“ erinnern.

9. Was wird die Zukunft zeigen – was wird es in fünf Jahren geben? Bitte um Ihre Einschätzung:

Meine Einschätzung habe ich in der Tabelle kurz auf den Punkt gebracht.

Zehn „Herz-Fragen“ an Professor Erland Erdmann

© Cardionews

10. Würden Sie auch heute wieder Kardiologe werden wollen?

Selbstverständlich! Wer einmal einen Kranken von seinen Herzschmerzen befreien konnte, bleibt dabei.

Haben Sie herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!

Zur Person-- Prof. Erland Erdmann war Chef der Klinik III für Innere Medizin (Kardiologie, Pneumologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin) am Herzzentrum der Uniklinik Köln, inzwischen ist er emeritiert.

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