Mechanische Thrombektomie bei ischämischem Schlaganfall
Interventionelle Rekanalisation-- Sehr starke Wirksamkeit der endovaskulären Behandlung bis zu einer „Number needed to treat“ (NNT) = 2, auch in einem langen Zeitfenster von bis zu 24 Stunden.
Veröffentlicht:Wie beim schweren Myokardinfarkt (MI) liegt der akute Arterienverschluss beim typischen schweren ischämischen Schlaganfall (IS) auch an der Organoberfläche (piale Gehirnoberfläche). Allerdings ist die „culprit lesion“, anders als beim MI, keine atheromatöse Plaque(ruptur), sondern in der Regel ein Embolus. Dieser okkludiert akut ein primär „gesundes“ Gefäßsegment (Abb. A1 und B1). Das technische Therapieziel ist praktisch gleich: möglichst rasche Rekanalisation vorzugsweise endovaskulär, falls der Verschluss erreichbar ist. Heutiger Standard ist es, die zerebralen Aufzweigungen 2. und 3. Ordnung (z. B. der A. cerebri media) mit raschen Prozesszeiten, auch unter erschwerten Sondierungsbedingungen und auch in hinterer Zirkulation (z. B. A. basilaris) zu erreichen.
Interventionelle Werkzeugkiste beim ischämischen Schlaganfall
Es ist offensichtlich, dass die Zielläsion beim IS distanter und die endovaskuläre Rekanalisationstechnik grundsätzlich verschieden ist: Es kommen multikoaxiale Techniken zum Einsatz mit neurovaskulären (Ballon-Okklusions-)Führungskathetern, großlumigen sowie flexiblen Aspirationskathetern, Mikrodrähten und Mikrokathetern für piale Gehirngefäße. Als Schlüsselinnovation werden im innersten Lumen sog. Stent-Embolus-Retriever eingesetzt (Abb. B2). Diese sind für unterschiedliche Gefäßdiameter am Ziel bestimmt, typisch sind 1–1,5 mm bis 5–6 mm. Vollständige Rekanalisation gelingt heute bei ≥ 90 % der Fälle (d. h. mTICI ≥ 2b; Abb. B3) und muss in mindestens 2 angiografischen Ebenen mit hoher diagnostischer Sicherheit detailliert auch in Bezug auf distale Äste erkannt werden. Für die Entscheidung, ob weit distale Verschlüsse rekanalisiert werden müssen, ist neben der radiologischen und interventionell-technischen Beurteilung ebenso die differenzierte klinisch neurologische sowie neuroanatomische Beurteilung der zerebralen Funktion des betroffenen Gefäßterritoriums bzw. von Subterritorien maßgeblich.
Neuroradiologische Biomarkerhelfen bei Patientenselektion
Sehr hohe Wirksamkeit (bis zu NNT = 2) und Sicherheit gelten evidenzbasiert (Level Ia) für einen breiten Indikationsbereich und auch für lange Zeitfenster bis 24 h. Therapieziel ist die Vermeidung schwerer neurologischer Behinderung dadurch, dass Reperfusion die Infarktausbreitung im Gehirn deutlich eingrenzen oder sogar vermeiden kann. In randomisierten kontrollierten Studien konnte erstmals auch die Gültigkeit neuroradiologischer Biomarker bewiesen werden, die in der Patientenselektion nun auch in der klinischen Praxis eine besondere Rolle spielen, z. B. die Tissue-at-Risk-Diagnostik mit Gehirnperfusions-CT (Abb. A2 und A3).
Es verbleiben nur wenige Einschränkungen in der Indikationsstellung: Sehr weit fortgeschrittene Infarzierung oder signifikant die Prognose oder Funktion limitierende Vorerkrankungen, nicht aber hohes Alter allein. Die gefürchteten Blutungskomplikationen im Gehirn sind verhältnismäßig selten und in Studien nicht signifikant häufiger im kontrollierten Vergleich zu der systemisch fibrinolytischen Therapie (i. v. rt-PA). Dennoch stellen die zwar seltenen, aber bei Ereignis oft letalen Gefäßrupturen oder -perforationen sehr hohe strukturelle und prozedurale Anforderungen an das Komplikationsmanagement und die Qualitätssicherung.
Zertifizierung nach den ModulenE und F (DeGIR/DGNR)
Unter diesem besonderen Aspekt der Patientensicherheit kommt der konstanten Vorhaltung einer hohen Vielfalt neurovaskulärer Medizinprodukte und Verbrauchsmaterialien nicht nur zur zerebralen Ischämie, sondern auch zur Behandlung hämorrhagischer Gehirngefäßläsionen, wie Aneurysmen der Zerebralarterien die koinzidentell vorliegen können, eine hohe Bedeutung zu. Ebenso wesentlich ist die Durchführung durch organspezifisch klinisch und interventionell ausgebildete Radiologen/Neuroradiologen und deren enge Zusammenarbeit mit überregional zertifizierten neurologischen Stroke-Units sowie mit interdisziplinärer Intensivmedizin unter Beteiligung der Neurochirurgie.
Eine wesentliche Qualitätssicherungsmaßnahme in der Ausbildung für interventionelle Radiologie/Neuroradiologie zur Schlaganfallbehandlung ist die Zertifizierung nach den Modulen E und F (DeGIR/DGNR). Aktuell kann die mechanische Thromb(embol)ektomie durch zertifizierte interventionelle Radiologen/Neuroradiologen bereits an über 200 Krankenhausstandorten im Bundesgebiet erbracht werden, auch in dünner besiedelten ländlichen Regionen.
Fazit
Die Rekanalisationsentscheidung basiert vor allem auf radiologischer, interventionell technischer, klinisch neurologischer und neuroanatomischer Beurteilung der Verschluss- lokalisation, der bereits vorhandenen Infarktausdehnung, der Symptome und der Ausbreitung der Gehirn- perfusionsstörung.
Neuroradiologische Biomarker wie Tissue-at-Risk-Diagnostik werden insbesondere im erweiterten Zeit- fenster bis zu 24 h und in Einzelfällen länger als 24 h nach Symptombeginn eingesetzt.
Kontakt-- Prof. Dr. Mirko Pham, Neuroradiologie Universitätsklinikum Würzburg, pham_m@ukw.de