Monitoring nach Schlaganfall: Was bringen Wearables?
Vorhofflimmern-- Smart-Devices entdecken tatsächlich häufiger Rhythmusanomalien als ein EKG-Screening in der Praxis. Ob diese Befunde klinisch relevant sind, verrät Prof. Christine Meyer-Zürn im Interview.
Veröffentlicht:Frau Prof. Meyer-Zürn, wie hoch ist das Risiko für einen medikamentös gut eingestellten Schlaganfallpatienten, einen zweiten Schlaganfall wegen Vorhofflimmerns zu erleiden?
Meyer-Zürn: In die vier großen randomisierten Studien mit direkten oralen Antikoagulanzien (RE-LY, ROCKET AF, ARISTOTLE und ENGAGE) wurden auch Patientinnen und Patienten eingeschlossen, die in der Vergangenheit bereits einen Schlaganfall oder eine TIA erlitten hatten (je nach Studie 18 bis 55 %). In dieser Subgruppe traten über einen mittleren Zeitraum von 2,2 Jahren unter Antikoagulation mit einem DOAK 4,9 % erneute Schlaganfälle oder systemische Embolien auf (bei 428 von 8.663 Patienten).
Was waren in den letzten 10 Jahren die wichtigsten Fortschritte bei der Diagnostik von Vorhofflimmern, von denen Patientinnen und Patienten heute profitieren können?
Das waren die Einführung der sogenannten „Wearables“ wie Smartwatches und Smartphones oder andere tragbare Devices. Sie können entweder auf Grundlage einer Photoplethysmografie (PPG)-Technologie Pulsirregularitäten detektieren und/oder „on demand“ ein Ein- oder Mehrkanal-EKG aufzeichnen. Des Weiteren sind die „injizierbaren“ Loop-Rekorder zu nennen, die den Herzrhythmus über mehrere Jahre überwachen können. Weitere Fortschritte sind kabellose EKG-Patches, die einen längeren Aufzeichnungszeitraum bewältigen als konventionelle Holter-EKG-Rekorder.
Vorhofflimmern erhöht das Schlaganfallrisiko, wann ist zur Diagnosestellung ein permanentes Herzrhythmusmonitoring sinnvoll?
In den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) wird ein opportunistisches Screening mittels Pulstasten oder EKG-Rhythmusstreifen bei Patienten in einem Alter über 65 Jahren empfohlen, um Vorhofflimmern zu diagnostizieren und somit dem kardioembolischen Schlaganfall vorzubeugen. Diverse Studien zeigen jedoch, dass ein längeres Rhythmusmonitoring die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht, Vorhofflimmern zu detektieren.
Ein Beispiel hierfür ist die „Loop Study“, bei der ca. 6.000 ältere Patienten ohne Vorhofflimmernanamnese über einen Zeitraum von 5,5 Jahren mittels implantiertem Loop-Rekorder überwacht wurden. In der Loop-Gruppe konnte bei fast jedem dritten Probanden mindestens 6-minütiges Vorhofflimmern nachgewiesen werden. Bei den Kontrollpatienten, die wie sonst zum Arzt gingen, wurde Vorhofflimmern nur bei 12 % entdeckt. Dies führte zwar zu einer häufigeren oralen Antikoagulation, aber nicht zu einer statistisch signifikanten Reduktion von Schlaganfällen oder systemischen Embolien.
Auch die Studie STROKESTOP konnte zeigen, dass ein permanentes Rhythmusmonitoring mehr kurzzeitige Vorhofflimmerepisoden detektieren kann, die jedoch nicht immer risikorelevant zu sein scheinen.
Macht es in der Praxis einen Unterschied, wie häufig Vorhofflimmern im Rhythmusmonitoring (Holter-EKG, Loop-Rekorder, Wearables…) aufgezeichnet wird?
Bislang wird der sogenannte „Vorhofflimmer-Burden“, der als Prozentsatz der Zeit im Vorhofflimmern während der Aufzeichnungsdauer definiert ist, in der Praxis nicht wesentlich berücksichtigt. Ein besseres Verständnis des Vorhofflimmer-Burdens und davon, ob dieser zum Outcome des Patienten beiträgt, ist dringend nötig. Dies wird im Rahmen der vom Schweizerischen Nationalfonds und der Schweizerischen Herzstiftung geförderten multizentrischen „Swiss-AF Burden“-Studie untersucht.
Inzwischen sind „Wearables“ verfügbar, die mithilfe passender Apps den Herzrhythmus erfassen und EKGs ableiten können. Wie lassen sich sinnvolle Tools von „Spielerei“ unterscheiden?
Die Anzahl an Wearable-Nutzern hat in den letzten Jahren stark zugenommen, beispielsweise in den USA von 18 % der Bevölkerung im Jahr 2014 auf 25 % im Jahr 2022 (statistica.com, 04/2022). Optimal ist, wenn die Person ihr Wearable gerne trägt, dieses akzeptiert und sich in der Handhabung sowie der Übermittlung der Daten sicher fühlt. Wichtig ist es, zu überprüfen, wofür (welche Funktionen) die Geräte zugelassen wurden. Je nach gesuchter Rhythmusstörung sollte das am besten geeignete Wearable ausgewählt werden, optimalerweise mithilfe eines Kardiologen.
Ebenfalls essenziell ist, dass die Aufzeichnungen übermittelt werden können und die Empfängerstelle mit den Daten umzugehen weiß. Eine Orientierungshilfe ist auch das kürzlich publizierte EHRA-Positionspapier zum Einsatz digitaler Devices.
Welchen Nutzen haben solche Anwendungen aus ihrer Sicht für Patientinnen und Patienten?
Vorteile für den Patienten sind sicherlich, dass durch eine kontinuierliche Überwachung die Diagnose meist schneller gestellt, und die Therapie zeitnaher eingeleitet werden kann. Dies bietet gerade bei paroxysmalem Vorhofflimmern enormes Potenzial. Auf der anderen Seite können Fehldetektionen sowie vom Wearable nicht auswertbare Befunde die Patienten verunsichern.
Können solche Tools die Arbeit von Kardiologinnen und Kardiologen erleichtern?
Durch das kontinuierliche Tragen der Wearables besteht die Chance, auch selten auftretende Rhythmusstörungen zu detektieren. Die Aufzeichnungen sind für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte online einsehbar oder können durch die Patienten an das ärztliche Personal gesendet werden. Es sind weniger konventionelle Holter-EKGs nötig, deren Auswertung teilweise zeitintensiv sein kann. Die Anzahl der vor-Ort-Visiten und auch der Notfallkonsultationen kann hierdurch reduziert werden.
Andererseits sollte die Anzahl an Rückfragen durch die Patienten aufgrund von Notifikationen durch die Wearables nicht unterschätzt werden. Fehldetektionen oder durch das Wearable nicht interpretierbare Ereignisse können vorkommen und müssen immer von einem Arzt überprüft werden. Die Herausforderung für den Arzt ist es, Daten zu identifizieren, die einen unmittelbaren Handlungsbedarf ergeben. Daher ist das Wearable-geführte Management zeitaufwendig und personalintensiv (ggf. 24/7-Service). Weitere Punkte, die geklärt werden müssen, sind die robuste und sichere Datenspeicherung, die Möglichkeit der Synchronisation mit der elektronischen Krankenakte sowie die Vergütung des Aufwandes.
Haben Sie in diesem Zusammenhang ein Beispiel aus ihrem Umfeld oder Erfahrungen aus der Praxis?
Wir haben am Universitären Herzzentrum Basel eine spezielle „Wearable Clinic“ eingerichtet unter Leitung von Dr. Patrick Badertscher. Das Ziel ist ein Service, der es den Patienten ermöglicht, ihre EKG-Daten bei Bedarf – zum Beispiel aufgrund von Herzrhythmusstörungen – medizinisch befunden zu lassen. Von persönlichen Geräten können die EKG-Daten als PDF auf einer neu eingerichteten Plattform hochgeladen werden. Nach Beantwortung einiger, weniger Fragen werden die EKGs vom Team der Elektrophysiologie des Herzzentrums befundet und an den Patienten weitergeleitet. Der Service wird zunächst in einer Pilotstudie evaluiert.
Glauben Sie, dass in den kommenden Jahren weitere diagnostische Fortschritte bzgl. der Detektion von Rhythmusstörungen möglich sind? Und welche könnten das ihrer Ansicht nach sein?
Zukünftig könnten „Machine Learning-“ und „Artificial Intelligence“-Technologien helfen, Herzrhythmusstörungen zu diagnostizieren oder vorauszusagen. So wurde in einer Studie der Einsatz einer kontaktfreien Vorhofflimmerndetektion mittels Videokamera vorgestellt. In einer weiteren Studie an 430.000 Patienten ohne bekanntes Vorhofflimmern mit 1,6 Millionen digitalen 12-Kanal-Ruhe-EKGs konnte das Auftreten von Vorhofflimmern innerhalb eines Jahres mittels „Deep Learning“ vorausgesagt werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Kontakt-- Prof. Dr. med. Christine Meyer-Zürn, Universitäres Herzzentrum, Basel, christine.meyerzuern@usb.ch