Digoxin oder Digitoxin – richtig wählen und dosieren
Herzglykoside-- Digoxin und Digitoxin weisen wichtige Unterschiede in ihren pharmakologischen Eigenschaften auf, die für einen optimalen Einsatz bei Patienten mit Vorhofflimmern und Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion beachtet bzw. genutzt werden sollten.
Veröffentlicht:Herzglykoside/Digitalis-Präparate werden bei Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion (HFrEF) und persistierender Symptomatik trotz Therapie mit Betablocker, ACE-Hemmer/ARNI, Mineralokortikoid-Rezeptorantagonist und SGLT2-Inhibitor zur Senkung der herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierungen empfohlen [1]. Herzglykoside sind außerdem ein wichtiges und empfohlenes Werkzeug zur Frequenzkontrolle bei Patienten mit Vorhofflimmern [2].
Die Empfehlung zum Einsatz von Digitalis bei Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern gründet primär auf randomisierten und prospektiven klinischen Studien, die mit Digoxin durchgeführt wurden. In der DIG-Studie hatte Digoxin bei Patienten mit HFrEF und Sinusrhythmus, Patienten mit Vorhofflimmern waren ausgeschlossen, einen neutralen Effekt auf die Mortalität und reduzierte die herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierungen [3].
Post-hoc-Analysen der DIG-Studie weisen darauf hin, dass Digoxin insbesondere bei Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienzsymptomatik und LV-Dysfunktion günstige Effekte auf die Prognose und Hospitalisierung haben könnte [4]. Aus den Daten der DIG-Studie wurde außerdem ersichtlich, dass niedrige Digoxin-Serumkonzentrationen eingehalten werden müssen. So waren Konzentrationen von 0,5–0,9 ng/ml mit einer verminderten Mortalität assoziiert, wohingegen Konzentrationen von über 1 ng/ml mit einer erhöhten Mortalität assoziiert waren [5, 6].
Vergleich Digoxin – Bisoprolol bei permanentem VHF
Die RATE-AF-Studie ist die bisher einzige prospektive randomisierte Studie in einem größeren Patientenkollektiv, die bei Patienten mit permanentem Vorhofflimmern die frequenz-kontrollierende Therapie mit Digoxin oder Bisoprolol verglichen hat. RATE-AF zeigte, dass Digoxin (mittlere Serumkonzentration 0,78 ng/ml) eine mit Bisoprolol vergleichbar suffiziente Herzfrequenzkontrolle erreichen konnte.
Dabei trat unter der Therapie mit Digoxin eine stärkere Verbesserung von Parametern der Lebensqualität und Herzinsuffizienz ein als mit Bisoprolol [7]. Insgesamt unterstreichen diese Daten die günstige Modulation des neurohormonellen Systems mit Aktivierung des Parasympathikus und Hemmung des Sympathikus unter niedrigen Digoxin-Serumkonzentrationen, wohingegen hohe, Kontraktionskraft steigernde Serumkonzentrationen proarrhythmogen sind und damit die Prognose zu verschlechternd scheinen [8].
Bisher sind noch keine Daten aus klinischen Studien über den Einfluss von Digitoxin auf Prognose, Hospitalisierungen und Lebensqualität bei HFrEF und/oder Vorhofflimmern verfügbar. Diese werden aber nach Abschluss der randomisierten und placebokontrollierten DIGIT-HF-Studie vorliegen, in welcher die Wirksamkeit von Digitoxin bei Patienten mit fortgeschrittener HFrEF mit Sinusrhythmus oder Vorhofflimmern untersucht wird [9].
Pharmakokinetische Vorteile für Digitoxin gegenüber Digoxin
Auch wenn die pharmakodynamische Wirkung von Digoxin und Digitoxin vergleichbar ist, hat letzteres deutliche pharmakokinetische Vorteile. Aufgrund der hohen Plasmaproteinbindung mit langer Halbwertzeit und kompensatorischer enteraler Elimination bei Niereninsuffizienz lassen sich mit Digitoxin auch bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz sehr stabile Serumkonzentrationen erreichen.
Im Gegensatz dazu schwanken die Serumkonzentrationen von Digoxin aufgrund der kurzen Halbwertzeit und primär renalen Elimination insbesondere bei eingeschränkter Nierenfunktion und übersteigen dann den therapeutischen Zielbereich mit daraus resultierenden Nebenwirkungen. Das Hauptverteilungskompartiment von Digoxin und Digitoxin ist die Skelettmuskulatur.
Da die Gesamtmasse an Skelettmuskulatur bei älteren Patienten, bei Frauen, aber auch bei Patienten mit geringem Körpergewicht vermindert ist, sind bei diesen Patientenkollektiven in der Regel niedrigere Dosen von Digitoxin und Digoxin notwendig, um die angestrebten Zielspiegel einzuhalten und Überdosierung mit entsprechenden Nebenwirkungen zu vermeiden [10, 11].
Neben den verfügbaren Daten aus den DIG- und RAFT-Studien für die richtige Dosierung von Digoxin konnten auch erste Analysen der DIGIT-HF-Studie bei einem HFrEF-Kollektiv mit ca. 20 % Vorhofflimmern sichere Dosierungen von Digitoxin für den Therapiebeginn erarbeiten [12].
Dosierungen für Digoxin und Digitoxin
Mit einfachem Dosierschema starten
Basierend auf diesen Daten empfehlen wir für den Beginn einer Therapie mit Digoxin und Digitoxin bei Patienten mit HFrEF und/oder Vorhofflimmern ein einfaches Dosierungsschema (Abb. 1). Bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen und einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von < 60 ml/min sollte primär Digitoxin eingesetzt werden, da die Therapie mit Digoxin bei diesen Patienten problematisch ist.
Aufgrund der primär renalen Elimination von Digoxin besteht ein erhöhtes Risiko für zu hohe Digoxinserumspiegel und den damit verbundenen Nebenwirkungen, insbesondere, wenn sich die Nierenfunktion weiter unbemerkt verschlechtert. Daher wären bei diesen Patienten Spiegelkontrollen von Digoxin in regelmäßigen und relativ kurzen Intervallen notwendig, was die klinische Anwendung erschwert. Im Gegensatz dazu ist bei der Anwendung von Digitoxin aufgrund der kompensatorischen enteralen Elimination das Erreichen stabiler Digitoxinspiegel im Zielbereich auch bei Nierenfunktionsstörungen möglich, ohne dass häufige Spiegelkontrollen in kurzen Intervallen notwendig sind.
Nicht nur für Frauen: Therapiebeginn mit niedrigen Dosen
Aufgrund der reduzierten Gesamtskelettmuskelmasse mit reduziertem Verteilungskompartiment für Digoxin und Digitoxin bei älteren Patienten, Frauen und Patienten mit einem geringen Body-Mass-Index empfehlen wir einen Therapiebeginn mit niedrigen Dosen. Vier Wochen nach Therapiebeginn sollte eine Serumspiegelbestimmung von Digoxin bzw. Digitoxin erfolgen und die Dosis gegebenenfalls angepasst werden, wenn die Serumkonzentrationen außerhalb des Zielbereiches liegen.
Wenn bei tachykardem Vorhofflimmern eine zügige Frequenzkontrolle notwendig erscheint, kann eine schnelle Aufsättigung durch orale Verabreichung von 0,75–1,5 mg Digoxin oder 0,5– 1,0 mg Digitoxin in abgesetzten Einzeldosen über 1 bis 2 Tage durchgeführt werden. Bei tachykardem Vorhofflimmern mit hämodynamischer Instabilität und erfolgloser Elektrokardioversion kann zur Frequenzkontrolle eine schnelle intravenöse Aufsättigung mit der entsprechenden Dosis in Einzeldosen von 0,25 mg verteilt über 1–2 Tage erfolgen.
Bei schneller Aufsättigung ist insbesondere auf das Vorliegen einer Hypokaliämie zu achten, da hierdurch die Herzglykosidwirkung gesteigert ist und Nebenwirkungen wie Arrhythmien vermehrt auftreten können.
Ausblick auf laufende Studien
Die aktuell noch laufenden großen, randomisierten und Placebo-kontrollierten klinischen Studien DIGIT-HF [9] und DECISION (NCT03783429) untersuchen den Einfluss von Digitoxin bei fortgeschrittener HFrEF bzw. Digoxin bei Herzinsuffizienz mit einer LVEF < 50 %. Im Gegensatz zur DIG-Studie werden in beiden Studien auch Patienten mit Vorhofflimmern eingeschlossen. Diese Studien werden uns wichtige Daten für eine evidenzbasierte Therapie mit Digoxin und Digitoxin bei Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern geben.
Fazit
Die Herzglykoside Digoxin und Digitoxin sind wichtige therapeutische Optionen zur Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern und sollten auch bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion trotz Einsatz einer modernen Herzinsuffizienztherapie in Erwägung gezogen werden.
Auch wenn die Evidenzlage aus klinischen Studien für Digoxin bei Vorhofflimmern und Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion besser ist als für Digitoxin, besitzt Digitoxin wegen seiner stabilen Serumkonzentrationen insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit Nierenfunktionsstörungen deutliche pharmakologische Vorteile für die sichere klinische Anwendung.
Literatur bei den Verfassern
Kontakt-- Prof. Dr. med. Udo Bavendiek, Medizinische Hochschule Hannover.