Interviewmit Prof. Stiller

Eine Frau an der Spitze

Führungsqualität-- Prof. Brigitte Stiller war die erste Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und ist heute Klinikdirektorin am Universitäts-Herzzentrums Freiburg. Mit uns hat sie über ihre Erfahrungen in einem männlich geprägten Arbeitsumfeld gesprochen.

Ein Interview von PD Dr. Anna Hohneck und Dr. Hannah Billig Veröffentlicht:
Der Frauenanteil in medizinischen Führungspositionen ist noch immer gering.

Der Frauenanteil in medizinischen Führungspositionen ist noch immer gering.

© Christian Ohde / imageBROKER / mauritius images

Welche Herausforderungen haben Sie auf Ihrem Weg besonders wahrgenommen?

Was ich als besonders wichtig wahrgenommen habe, war eigenen Mut zu fassen. Ich war in meiner Facharztzeit mitbeteiligt an der Entwicklung von Systemen wie dem Berlin Heart* für Kinder und bin im Rahmen dessen auch in den USA oder in Oxford gewesen, um bei der Etablierung vor Ort zu helfen. Anfangs war ich sehr angespannt und habe überlegt, ob ich diese Inhalte überhaupt vermitteln kann. Mit den verschiedenen Einsätzen habe ich bemerkt, dass ich bereits sehr gut vorbereitet war.

Prof. Brigitte Stiller leitet die Klinik für Angeborene Herzfehler und Pädiatrische Kardiologie des Universitätsklinikums Freiburg

Prof. Brigitte Stiller leitet die Klinik für Angeborene Herzfehler und Pädiatrische Kardiologie des Universitätsklinikums Freiburg

© Stilller

Wie haben Sie es geschafft, die eigenen Zweifel zu überwinden und mutig zu sein?

Immer wenn ich das Gefühl hatte, ich könnte jetzt möglicherweise nicht die richtige sein, dann habe ich mir die Frage gestellt, wer jetzt besser geeignet wäre. Und dann waren dort eben nicht mehr viele Namen in meinem Kopf.

Vor Kurzem habe ich den Begriff des Imposter-Syndroms kennengelernt – da habe ich mich selbst sehr drin wiedergefunden. Insbesondere Frauen sehen also anscheinend die eigenen Erfolge weniger als Resultat ihrer harten Arbeit, sondern deuten sie häufig eher als Zufall oder Glück. Ich glaube tatsächlich, dass es vielen Frauen so geht, sie aber nicht gerne darüber sprechen wollen. Vielleicht wird das einfacher, wenn man es thematisiert und bekannter macht.

Welche Rolle haben Vorbilder in Ihrer Laufbahn gespielt?

Ganz besonders fällt mir da Prof. Peter Lange ein. 2000 hat die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie in Berlin unter seiner Leitung stattgefunden. Er hat mir dort als Kongresssekretärin sehr viel zugetraut. Und ich glaube, das ist eine wichtige Führungsqualität. Daraus habe ich viel gelernt. Wenn man von jemandem etwas hält, dann muss man ihn auch großwerden lassen und Dinge delegieren, anstatt selbst alles zu bestimmen und überall aufzutreten.

Welche Führungsqualitäten haben Ihnen geholfen, sich in einer männlich geprägten Umgebung zu behaupten?

2013/14 wurde ich nach ihrem fast 50-jährigen Bestehen die erste weibliche Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie. Vor der ersten Sitzung mit all den Alphatieren hatte ich unheimlich viel Respekt. Ich wusste nicht, ob sie mich ernst nehmen, ob sie mir überhaupt zuhören würden. Ich glaube, zwei Dinge haben mir dabei besonders geholfen: Selbstbewusstsein und gute Vorbereitung. Es macht nicht viel Arbeit, sich etwas besser vorzubereiten als andere, aber man hat wahrscheinlich im Gesamtsetting und in der Diskussion einen Vorteil.

„Man sollte sich von vornherein nichts gefallen lassen.“

Zitat Prof. Dr. Brigitte Stiller

Außerdem sollte man sich von vornherein nichts gefallen lassen. Es gab während der Sitzung zwei, die immer miteinander gequatscht haben und ich bin nicht dagegen angekommen. Dann habe ich aufgehört, zu reden und sie gefragt, ob das jetzt etwas für alle sei. Jedes Mal, wenn sie wieder angefangen haben, habe ich aufgehört zu sprechen, sodass sie von allen angeschaut wurden. Ich habe dann noch gesagt, dass es schön wäre, wenn wir jetzt konzentriert zusammen weiterarbeiten könnten. Die beiden waren zwar zunächst ganz erschrocken, aber ab der nächsten Sitzung hat das dann aufgehört und es lief rund. Selbstbewusstsein bedeutet, mutig zu sein und seine eigenen Gedanken und Ideen durchzuziehen.

Am Ende wurde die Sitzung dann sehr gelobt, weil ich so gut vorbereitet und pünktlich war.

Sie leiten die Klinik für Angeborene Herzfehler und Pädiatrische Kardiologie des Universitätsklinikums Freiburg. Wie fördern Sie Familien, wenn es um Karriereplanung geht?

Ich spreche in Mitarbeitergesprächen mit engagierten und motivierten Ärztinnen das Thema Familienplanung selbst proaktiv an. Dabei muss man sensibel sein – man will dieses Thema ja nicht aufdrängen. Es geht im Gegenteil darum, Weiterbildung und Familienplanung miteinander zu vereinen und beides zu ermöglichen. Ich habe aber sehr positive Rückmeldungen bekommen, weil sich die Frauen aus Angst vor Benachteiligung sonst nicht getraut hätten, dieses Thema anzusprechen.

Teilzeitmodelle und Elternzeit sind gleichzeitig auch das Wichtigste, das ein Mann für eine Frau tun kann. Männer, die über längere Zeit z. B. die Kita-Eingewöhnung machen, während ihre Frauen ihre Karriere fortführen können, das sind die besten Fürsprecher für Frauen. Denn Frauen fehlt am Ende ja immer Leistung pro Zeit. Wenn man die Bewerber*innen für Lehrstühle anschaut, dann sind die Frauen in der Zeit immer so ein bis drei Jahre zurück. Und das liegt ja nicht daran, dass die Frauen schlechter sind, sondern daran, dass sie in der Schwangerschaft und danach zeitweise nicht klinisch oder wissenschaftlich arbeiten. Männer, die auch eine Auszeit nehmen, tragen zur Angleichung dieses Ungleichgewichts bei und verkleinern das Gap zwischen Männern und Frauen.

Welche Tipps möchten Sie jungen Kardiologinnen mit auf den Weg geben?

Selbstbewusst sein, auch mal „Nein“ sagen, klare Regeln einfordern und nicht versuchen everybody’s darling zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

* pneumatisch pulsatiles ventrikuläres Assist Device, umgangssprachlich „Kunstherz“

Literatur-Tipps

Empfehlungen von Prof. Stiller

Ross, M.B., Glennon, B.M., Murciano-Goroff, R. et al. Women are credited less in science than men. Nature 2022; 608, 135–145

Bonnie Garmus, Eine Frage der Chemie, Piper-Verlag 2022

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