Gender 3.0 – die Suche nach dem „Loch in der Leitung“

Frauen in der Kardiologie-- Inzwischen gibt es in Deutschland relativ viele Kardiologinnen – aber kaum welche in Führungspositionen. Woran liegt das und wie lässt sich das ändern? Eine Spurensuche offenbart Schwachstellen und zeigt Lösungsansätze auf.

Von Dr. Hannah Billig und PD Dr. Ute Seeland Veröffentlicht:
Auf dem Weg nach oben  steigen Frauen in kardiologischen Tätigkeiten häufig aus der Karriereleiter aus.

Auf dem Weg nach oben steigen Frauen in kardiologischen Tätigkeiten häufig aus der Karriereleiter aus.

© Igor Link / Stock.adobe.com

Mit 37,5 % (Stat. Bundesamt 2021) [1] liegt der Frauenanteil in der deutschen Kardiologie höher im Vergleich zu den meisten anderen Ländern, in denen Kardiologinnen weniger als 15 % ausmachen [2]. Der Anteil weiblicher Fachärztinnen für Innere Medizin und Kardiologie stieg binnen 10 Jahre von 2011 bis jetzt von 27 auf 37 % [1, 3]. In Führungspositionen ist dieser Trend jedoch noch nicht angekommen. Weniger als 5 % der Kardiologie-Abteilungen in Deutschland werden von Frauen geleitet; Universitätskliniken sind ohne Ausnahme männlich geführt. Die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen ist ein Problem internationalen Ausmaßes und beschäftigt Fachgesellschaften, Kommissionen und andere Interessensvertretungen seit Jahren. Der Verlust von Frauen auf zunehmender Höhe der Karriereleiter bedeutet nicht nur den Wegfall von Talenten und Arbeitskraft, sondern auch eine vergebene Chance auf mehr Diversität. Eine gleichrangige Einbindung von Frauen in die Leitung klinischer und präklinischer Studien führt erwiesenermaßen zur vermehrten Rekrutierung von weiblichen Studienteilnehmerinnen und zur verbesserten Geschlechtersensibilität bei wissenschaftlichen Fragestellungen [4].

Warum sich Frauen gegen eine Karriere in der Kardiologie entscheiden

Frauen werden seltener von männlichen Vorbildpersonen gefördert, erhalten weniger hochrangige Stipendien und publizieren seltener als Erst- und Letztautorinnen in angesehenen Papers [2, 5]. Beschäftigungs- und Karrieremodelle in der Kardiologie werden überwiegend von männlichen Führungskräften entworfen. Der Alltag in kardiologischen Abteilungen ist geprägt von geringer Flexibilität, langen Arbeitstagen und Bereitschaftsdiensten. Das Arbeitsumfeld in der Kardiologie wird somit grundsätzlich als familienunfreundlich wahrgenommen.

Externe Faktoren tragen dazu bei, dass die Veränderung hin zu einer gleichberechtigten Karriere unverzichtbar und zeitkritisch erscheint. Dazu gehören der Personaldrift aus dem Gesundheitswesen und der Fachkräftemangel. Auch wünschen immer mehr Partner/Partnerinnen, sich anteilig um die Kinder zu kümmern.

Die Sorge vor Risiken durch Strahlenbelastung in der interventionellen Kardiologie und Elektrophysiologie führt bei Frauen häufiger zur Entscheidung gegen diese Subspezialisierungen [6–8]. Empfehlungen internationaler Expertenkommissionen besagen jedoch, dass schwangere Frauen weiterhin in einer Umgebung ionisierender Strahlung arbeiten können. Daten aus der Praxis zeigen, dass interventionell arbeitende Kardiologinnen Strahlendosen ausgesetzt sind, die weit unter den festgelegten Dosisgrenzwerten für Schwangere liegen (EU: < 1 mSv) [6, 8]. Trotzdem werden durch die EU-Länder individuelle und teilweise sehr restriktive Richtlinien festgelegt. Aufholbedarf besteht auch in der Aufklärung zu Strahlenschutzbestimmungen für Schwangere – viele Kardiologinnen sind über die geltenden Empfehlungen zum Monitoring und zur Reduktion der Strahlendosis während der Schwangerschaft nicht oder kaum informiert [9].

Potenzielle Lehren aus der Industrie

Die Management-Experten Frank Dobbin und Alexandra Kalev haben Daten hunderter US-Unternehmen analysiert und Interviews mit Führungskräften geführt. Veröffentlicht im Harvard Business Review, kommen sie zu folgendem Ergebnis: „Viele Diversitätsprogramme verfehlen ihren Zweck.“ Begründet wird das mit dem Ansatz, dass gut gemeinte verpflichtende Einstellungstests und Leistungsratings für Angestellte genutzt werden, die eine subjektive und stereotype Beurteilung ausschließen sollen. Das Resultat war entgegen der Erwartung eine Abnahme der Diversität. Dobbin und Kalev folgerten, dass das Ziel der Kontrolle bestimmter Verhaltensmuster von Führungskräften nicht den gewünschten Erfolg brachte, da nur ein Teil der Bewerbenden den Einstellungstest erhielt oder alle Angestellten im Leistungsrating mit derselben Note bewertet wurden.

Viele Diversitätsprogramme verfehlen ihren Zweck.

Zitat Frank Dobbin und Alexandra Kalev

Effektivere Werkzeuge seien jene, die nicht auf Kontrolle basierten. Diese beruhen den Autoren zufolge grundlegend auf der Umsetzung dreier Prinzipien: Führungskräfte in die Problemlösung einbeziehen, sie mit Menschen aus verschiedenen Gruppen in Kontakt bringen und ihre soziale Verantwortlichkeit für Veränderung hervorheben [10]. In die Praxis umgesetzt kann das bedeuten, erfahrene und junge Kardiologinnen und Kardiologen verschiedener Karrierephasen in Mentoring-Programmen zusammenzubringen, den Istzustand in Diversity-Taskforces unter Einbezug von Abteilungsleitern festzustellen und Lösungsansätze für Missstände zu erarbeiten.

Leitfaden für mehr Aufstiegschancen

Eine Publikation der ACC-Sektion „Women in Cardiology“ von 2019 schlägt einen Leitfaden vor, der zur Verbesserung der Rekrutierung, der Bindung an die Fachabteilung und zur Unterstützung des beruflichen Aufstiegs von Kardiologinnen genutzt werden kann [11]. Dringender Handlungsbedarf liege im Erreichen der Geschlechterparität. Beteiligt an diesem komplexen Prozess sind nach Empfehlung der ACC-Sektion alle Akteure im Gesundheitswesen: Arbeitgeber werden dazu aufgefordert, innovative und kreative Konzepte zu entwickeln, Work-Life-Aspekte in die Karriereplanung einzubeziehen, ein unterstützendes Umfeld für stillende Mütter zu schaffen und Elternzeit zu fördern. Strahlenschutzschulungen sollten vor und während der Schwangerschaft stattfinden.

Fachgesellschaften werden dazu aufgefordert, Prinzipien einzuführen, die eine systematische Stärkung und Sichtbarkeit von Frauen in Führungspositionen sicherstellen. Es sollte eine regelhafte Veröffentlichung von Zahlen zur Geschlechterverteilung in Kommissionen, auf Kongressen und in der Fachgesellschaft erfolgen. Daneben können Positionspapiere eine kritische Reflexion und Lösungsansätze zu bestehenden Ungleichheiten vermitteln [11].

Praktizierende Kardiologinnen und Kardiologen werden darin bestärkt, sich aktiv in Mentoring-Programmen zu engagieren. Ärztinnen in der Weiterbildung sowie nach der Facharztprüfung sollten sich gegenseitig unterstützen, wirkungsvoll ideale Arbeitsplatzszenarien verhandeln und sich um Fördermittel und Unterstützung von mehreren Mentorinnen/Mentoren bemühen. Eine Veränderung der bestehenden Bedingungen wird grundlegend vom Engagement und der Nachdrücklichkeit von Kardiologinnen und Kardiologen in der frühen und mittleren Karrierephase getragen werden.

Spezielle Programme für Frauen

VerschiedeneInitiativen haben es sich zum Ziel gesetzt, Frauen in der Kardiologie zu fördern.

In der DGK behandelt die Projektgruppe 13 die Themen Frauen und Familie in der Kardiologie. Synergien ergeben sich durch die Zusammenarbeit mit der AG 28 Gendermedizin in der Kardiologie und der Young DGK. Die DGK bietet während der Herztage sowie online Speed-Mentoring-Termine an. Weitere Informationen findet Ihr auf der Homepage (https://mentoring.dgk.org).

Mitglieder der ESC haben die Möglichkeit, sich auf eins von acht Stipendien für die Teilnahme an dem Weiterbildungsprogramm „Women Transforming Leadership Programme“ (WTLP) der Saïd Business School der Universität Oxford (UK) zu bewerben. Der Kurs konzentriert sich auf verschiedene Herangehensweisen mit organisatorischen Herausforderungen umzugehen und gibt Frauen Werkzeuge an die Hand, um ihren eigenen Führungsstil zu entwickeln.

Die Kardiologinnen Prof. Roxana Mehran und Prof. Marie-Claude Morice haben 2019 „Women as One“ gegründet. Mehran beschreibt „Wir haben Women as One mit dem einfachen Ziel gegründet, Frauen zum Erfolg zu verhelfen. Die Stellung von Frauen in der Medizin stagniert und das kann unser Berufsstand nicht länger hinnehmen“. Die internationale Initiative tritt für die Interessen von Ärztinnen ein, vergibt Fördermittel und Preise, stellt edukative Inhalte bereit und ermöglicht Frauen, ein breites berufliches Netzwerk aufzubauen.

„Women as One“ versteht sich dabei als Bindeglied einer Vielzahl an Organisationen des Gesundheitswesens, die nach mehr Vielfalt in der Medizin streben

Literatur bei den Verfasserinnen

Kontakt-- Dr. Hannah Billig, Herzzentrum Bonn, Billig, PD Dr. Ute Seeland, Charité – Universitätsmedizin Berlin,

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