Editorial
Mit Zuversicht auf dem Weg ins Jahr 2023
Licht und Schatten-- Das Jahr 2022 hatte weltpolitisch leider weniger Erfreuliches parat: Krieg, Energiekrise, Inflation. Lieferschwierigkeiten von Medikamenten bereiten dem medizinischen Gesundheitspersonal derzeit große Sorgen. Doch es gibt auch Positives zu vermelden, im kardiovaskulären Bereich wurden einige spannende Studien veröffentlicht, über die in dieser Ausgabe diskutiert wird.
Veröffentlicht:
Best of 2022
© magele-picture/stock.adobe.com

Prof. Dr. med. Meinrad GawazUniversitätsklinikum Tübingen
© Gawaz

Prof. Dr. med. Tienush RassafUniversitätsklinikum Essen
© Rassaf
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Jahr 2022 neigt sich so langsam zu Ende. Wir steuern auf etwas hoffentlich ruhigere und erholsame Weihnachtsfeiertage zu. Am Ende eines Jahres wird sich so mancher fragen, was wohl das Neue Jahr so alles mit sich bringen wird?
Wohl niemand ist Anfang letzten Jahres davon ausgegangen, dass wir in Europa Krieg haben oder eine schwere Energiekrise bekommen werden. Hätten wir uns das letztes Jahr vorstellen können? Und nun ziehen schon wieder dunkle Wolken am Horizont auf. Müssen wir uns Sorgen machen über Lieferschwierigkeiten von Medikamenten? Die Nachricht in der heutigen Cardio News, dass jetzt selbst ein kardiologischer „Klassiker“ wie Digitoxin von Lieferengpässen betroffen ist, erscheint irgendwie absurd, aber es ist wahr. Gott sei Dank stehen uns alternative Substanzen oder vernünftige Handlungsanweisungen zur Verfügung, wie wir bei Medikamentenverknappung verfahren können (Lieferengpass Digitoxin – Empfehlungen ). Doch nicht bei allen Wirkstoffen – insbesondere im Antibiotika- oder Schmerzmittelbereich – kann das medizinische Personal auf andere Substanzen ausweichen.
Diese beunruhigenden Nachrichten sollten deshalb ein Alarmzeichen darstellen, dass wir als Ärztinnen und Ärzte die Politik und Pharmabranche in die Verantwortung nehmen müssen, um eine nachhaltige und sichere Versorgung unserer Patientinnen und Patienten sicherstellen zu können.
Mit Hochdosis-Impfstoff gegen die Grippewelle?
Zu viel Stress senkt den Testosteronspiegel und erhöht die Gefahr eines Myokardinfarktes – eine interessante Hypothese, die in einer schwedischen Studie gestellt wird (Testosteronabfall kündigt Herzinfarkt an). Sollen wir in einer Stresssituation dann künftig alle Testosteronpflaster aufkleben? Die „Testosteron-Mangel“-Hypothese bedarf jedenfalls noch viel unterstützender Forschungsarbeiten.
Überzeugender sind dagegen die Registerdaten zur Influenzaimpfung. Seit Jahrzehnten ist klar, dass eine schwere Influenzagrippe insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Sterblichkeit erhöht. Nach der Corona-Pandemie werden voraussichtlich die Infektionsraten mit Influenza- und RS-Viren diese Saison zunehmen. In der in Dänemark durchgeführten randomisierten DANFLU-1-Studie wurde durch eine Hochdosis-Grippeimpfung im Vergleich zur Standarddosis eine Reduktion klinischer Ereignisse einschließlich der Gesamtmortalität bei Personen im Rentenalter erzielt. Leider war aber auch diese Untersuchung statistisch „underpowered“, eine Einordnung dazu in dieser Cardio News-Ausgabe (Wie gut wirkt die Hochdosis-Grippeimpfung?).
Schwierige Interpretation der REVIVED-Studie
Es fällt schwer, zu akzeptieren, dass Patienten mit schwerer koronarer Herzerkrankung und fortgeschrittener Herzinsuffizienz nicht konsequent revaskularisiert werden sollten. Gemäß der randomisierten REVIVED-Studie finden sich für ein interventionelles Vorgehen bei diesen Patienten im Vergleich zur konservativen Therapie keine Vorteile, es entstehen dadurch aber auch keine schwerwiegenden Nachteile! Ein so wichtiges Thema mit einer verhältnismäßig geringen Patientenzahl (n = 700) und kurzen Nachbeobachtungsphase (3,5 Jahre) zu untersuchen, erscheint unzulänglich. Die REVIVED-Studie hat sich viel vorgenommen, sie läuft aber Gefahr, fehlinterpretiert zu werden und so manchem Betroffenen eine effektive Therapie vorzuenthalten. Darüber diskutieren Experten in dieser Ausgabe (Revaskularisation bei schwerer ischämischer Kardiomyopathie ).
Was gibt es Neues für Patientinnen und Patienten mit Herzstillstand? Interessant sind aktuelle Studienergebnisse zur sequenziellen Defibrillation. Logisch erscheint, dass im Falle eines schockrefraktären Kammerflimmerns durch einen Positionselektrodenwechsel (Vektorwechsel) noch etwas erreicht werden kann. Dieses Vorgehen hat sich in einer kanadischen Studie tatsächlich als wirkungsvoll herausgestellt. Durch die sogenannte doppelte sequenzielle Defibrillation nach Vektorwechsel wurden die Überlebenschancen deutlich im Vergleich zur Standard-Schocktherapie verbessert.
Auch wenn in dieser Untersuchung keine statistisch signifikante Studiengröße erzielt wurde, sollte das Vorgehen ohne weitere Studien in dieser oft hoffnungslosen Situation berücksichtigt werden (Alternative Technik erhöht Überleben).
ESC-Leitlinie Onkokardiologie gibt wichtige Antworten
Unsere Patientinnen und Patienten werden nicht nur älter, sondern auch immer komplexer. Eine große Herausforderung stellen Patienten mit onkologischen Erkrankungen dar, die gleichzeitig an Herzinsuffizienz, Klappenvitien oder koronaren Herzerkrankungen leiden. Wie soll die antithrombotische Therapie gesteuert werden, während und nach einer potenziell zytoreduktiven Therapie? Ebenso gewinnt das Thema der Krebs-assoziierten Kardiotoxizität zunehmend an Bedeutung. Wie kann diese erkannt und vermieden werden? Welche kardiologischen Kontrollen sind notwendig und sinnvoll?
Diese wichtigen Fragen werden nun zum Teil in der ansprechenden 2022 veröffentlichten ESC-Leitlinie Onkokardiologie aufgegriffen. In einer Serie von Artikeln werden Ihnen in der Cardio News die einzelnen Aspekte der Leitlinie in Hinblick auf die onkokardiologische Versorgung des wachsenden Kollektivs betroffener Patienten und Patientinnen vorgestellt, es beginnt mit Teil 1 (Neue ESC-Leitlinie Onkokardiologie). Eine wichtige Unterstützung für unseren beruflichen Alltag.
Kardiologie als Leuchtturmfach der geschlechtersensiblen Medizin
Es kann uns nur freuen, dass in der vorliegenden Ausgabe der Cardio News die Kardiologie als Leuchtturmfach in der geschlechtersensiblen Medizin bezeichnet wird. Warum bleiben Frauen mit einer Mitralinsuffizienz länger im Sinusrhythmus als Männer? Warum gingen Frauen im „Corona-Lockdown“ mehr zum Arzt als Männer? Warum werden Frauen weniger im „Heart Team“ besprochen? Das sind alles wichtige Fragen, die dafür sprechen, dass wir sehr genau auf Geschlechterspezifität achten sollten (Geschlechtersensibler Blick auf den linken Vorhof).
Die Verbindungen zwischen der Kardiologie und anderen Fachdisziplinen werden immer enger. Veranschaulicht wird diese Beziehung unter anderem durch die SGLT2-Inhibitoren. Diese wurden bekanntermaßen zunächst als Diabetesmedikament entwickelt, sie werden inzwischen aber auch zur Behandlung der Herzinsuffizienz und Niereninsuffizienz eingesetzt. Wie die 2022 veröffentlichte DELIVER-Studie gezeigt hat, sind SGLT2-Inhibitoren auch bei einer Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) wirksam. Ist das eine Revolution, angesichts der bisher beschränkten Therapiemöglichkeiten bei HFpEF? Hierzu geben Expertinnen und Experten in dieser Cardio News-Ausgabe ebenfalls eine Einschätzung (DELIVER hat geliefert: Dapagliflozin bei HFpEF).
Diese und weitere spannende Themen können Sie sich in der aktuellen Cardio News zu Gemüte führen. Wir wünschen Ihnen schon jetzt ein frohes und geruhsames Weihnachtsfest und alles Gute für das Neue Jahr 2023. Bleiben Sie uns weiterhin treu.
Herzliche Grüße
Tienush Rassaf und Meinrad Gawaz